News aus dem Kanton St. Gallen

Von Burkas und blanken Busen

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24.02.2017
Elisabeth Reichen hat eine Wanderausstellung zur Geschichte des Schleiers organisiert. Im Gespräch erklärt sie, warum das Kopftuch auch zur christlichen Tradition gehört - und wirft die Frage auf, was nackte Körper mit Selbstbestimmung zu tun haben.

Frau Reichen, das Kopftuch sorgt heute immer wieder für rote Köpfe. Auch in der Schweiz wird über ein Burka-Verbot diskutiert. Wie sind Sie an dieses heikle Thema herangegangen?
Zur Ausstellung inspiriert hat mich die deutsche Kulturwissenschafterin Christina von Braun. Sie hat ein Buch über die Geschichte der Verschleierung geschrieben. Ich versuche zu zeigen, dass die Verhüllung nicht nur im Islam ein Thema ist, sondern allgemein in der Kultur des Mittelmeerraums entstanden ist. Bereits 1200 vor Christus hiess es bei den Assyrern, dass verheiratete Frauen einen Schleier tragen sollen.

Es fällt auf, dass vor allem Frauen angehalten wurden, Haare und Oberkörper zu bedecken. Woran liegt das?
Das Haar symbolisiert seit Menschengedenken Lebenskraft, Energie und Sexualität - nicht nur bei Frauen. Denken Sie etwa an die biblische Geschichte von Samson, der seine Kraft verliert, als Delilah sein Haar schneidet. Christentum, Judentum und der Islam sind traditionell patriarchale Kulturen. Die weibliche Kopfbedeckung steht für die Einordnung der Frau in eine männlich dominierte Gesellschaft. Dabei war es insbesondere das Christentum, das die weibliche Unterordnung zum religiösen Gesetz machte.

Die christliche Tradition?
Ja, das ist richtig. Wir Christen neigen dazu, unsere patriarchale Vergangenheit zu verdrängen. Bei Paulus im Korintherbrief 1,14 steht ganz klar, dass die Frau dem Mann untergeordnet ist. Zwar steht diese Aussage im Widerspruch zu anderen Passagen bei Paulus, etwa dem Brief an die Galater 3,28, wo er Männer und Frauen auf dieselbe Stufe stellt - dennoch steht auch ersteres in der Bibel. Ich gehöre zu der älteren Generation, ich kann mich noch erinnern, wie meine Mutter immer mit Kopfbedeckung aus dem Haus ging. Jüngeren Menschen ist das nicht mehr so präsent.

Heute tragen vor allem muslimische Frauen ein Kopftuch. Ist es nicht auch im Islam ein religiöses Gebot?
Ob der Koran die weibliche Verschleierung vorschreibt oder nicht, wird auch unter Muslimen immer mehr diskutiert. Die entsprechenden Stellen im Koran sind nicht eindeutig. In der kulturellen Überlieferung und von konservativen Muslimen wird das aber heute so gedeutet.

Es gibt heute viele Muslimas, die Kopftuch tragen und sich als Feministinnen bezeichnen. Wie geht das zusammen?
Tatsächlich hat sich das Kopftuch auch andere Bedeutungen angenommen. Wenn eine Muslima ein Kopftuch trägt, kann das für sie auch der selbstbestimmte Ausdruck ihrer muslimischen Identität und Kultur sein. Sie kann sich gleichzeitig für die Rechte von Frauen einsetzen. In meiner Ausstellung will ich zeigen, dass Verhüllung heute viele Bedeutungen haben kann.

In Ihrer Ausstellung geht es auch um Enthüllung. Heute gilt in westlichen Gesellschaften die Nacktheit als ein kultureller Wert. Wie kam das?
Der nackte Körper wurde in der französischen Aufklärung zu einem Symbol von bürgerlicher Freiheit. Es gibt die Darstellung von Marianne als Allegorie der französischen Nation. Sie wurde mit entblösster Brust dargestellt, als nährende Mutter. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich diese Vorstellung individualisiert. Nacktheit steht für Selbstbestimmung. Ob Nacktheit aber wirklich mit weiblicher Selbstbestimmtheit einhergeht, darüber kann man diskutieren. Auch entblösste Models sind Ausdruck einer männlich dominierten Gesellschaft. Das ist ebenfalls Teil meiner Ausstellung.

Wer sind die Besucher Ihrer Ausstellung?
Ich habe ein breites Publikum. Auch ältere Menschen aus dem kirchlichen Umfeld fühlen sich vom Thema angesprochen. Es kommen aber auch Muslimas und Muslime, Berufsschüler oder Schulklassen.

Wie waren die bisherigen Reaktionen?
Die meisten waren sehr positiv. Ich bin oft für Führungen oder Sonderanlässe anwesend. Muslimas kommen zu mir und sagen: Danke, ich fühle mich verstanden. Aber auch Nichtmuslime finden sich in der Ausstellung wieder. Mir war wichtig, nicht zu werten. Es geht mir darum, den Blick auf das Thema zu weiten. Wenn ich Leute miteinander ins Gespräch bringen kann, bin ich zufrieden. Ich bin gespannt auf die Begegnungen in Bern.

Susanne Leuenberger / ref.ch / 24. Februar 2015

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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