News aus dem Kanton St. Gallen

Trotz Kritik: Der Erfolg geht weiter

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02.02.2018
Während andere Gemeinden über schwindende Besucherzahlen klagen, herrscht in der Basler Gellertkirche Dichtestress. Deshalb bietet man am Sonntag seit neustem drei Gottesdienste an. Doch der Erfolg erregt Kritik.

Eigentlich war die kurze Pressemeldung nur eine Randnotiz. Kurz vor Weihnachten meldete die reformierte Basler Kirche, dass in der Gellertkirche neu drei statt zwei Sonntagsgottesdienste stattfinden. Der Andrang sei zu gross und der Platz zu eng. 400 bis 600 Erwachsene plus hundert Kinder kamen jeweils im letzten Jahr am Sonntag in die Kirche. Seit Jahren sei der Morgengottesdienst voll. Und im Untergeschoss, wo die Kinder feiern, sei es «unangenehm eng» gewesen, sagt Dominik Reifler, Pfarrer der Gellertkirche. «Wir haben keine weiteren Räumlichkeiten, auf die wir ausweichen können. Zudem haben immer mehr junge Erwachsene im Abendgottesdienst ihre Heimat gefunden und bringen nun ihre Kinder mit.» Deshalb beschloss man, um 11.30 Uhr einen zusätzlichen Gottesdienst anzubieten.

Orgel oder Praise-Band
Die Gottesdienste unterscheiden sich hinsichtlich Inhalt und Zielpublikum: Im Gottesdienst für Frühaufsteher, dem «Klassiker» um 9.30 Uhr, feiert die Gemeinde mit Orgel und Kirchenliedern. Der neue, so genannte «Moderne», beginnt um 11.30 Uhr. Es gibt Interviews, eine Predigt in Mundart und eine Praise-Band. Der Gottesdienst für «Nachtschwärmer» beginnt um 19.07 Uhr. Verheissungsvoll nennt er sich der «Frische» und wartet mit Christ-Pop, Mundart-Predigten und kreativen Begegnungen auf.

«Das Evangelium ist nicht wandelbar»
Was ist das Geheimnis des Zustroms? Matthias Zehnder, Informationsbeauftragter der Basler Kirche, führt den Erfolg darauf zurück, dass es die Gellertkirche offenbar verstehe, auf die Bedürfnisse vieler Menschen einzugehen, und sie mit ihren Angeboten ihr eigenes Profil verfolgt. Inhaltlich mache die Gellertkirche keine Konzessionen, sagt Dominik Reifler. «Das Evangelium ist für uns nicht wandelbar, es sollte sich dem Zeitgeist nicht anpassen.» Doch bei der Form sei man flexibel. «Wenn viele Jugendliche – und das ist bei uns die Situation – gerne Rock, Pop und Jazz hören, dann sollten wir uns nicht scheuen, Anbetungslieder von heutigen Interpreten zu singen und zu spielen.»

Für Reifler basiert der Erfolg auf verschiedenen Faktoren: Es helfe weiter, wenn eine Kirchgemeinde nach ihrem Erbe fragt. «Was hat Gott in der Vergangenheit durch unsere Kirchgemeinde getan? Was bedeutet das für die Zukunft? Welches Profil könnte die Kirchgemeinde aus der Sicht Gottes haben?» Solche Fragen könnten die Behörden, Angestellten und Freiwilligen gemeinsam diskutieren. Dominik Reifler ist überzeugt, dass «dies der erste Schritt auf einem spannenden Weg zu neuen Ufern ist».

Mediales Interesse und Kritik
Die hohen Besucherzahlen haben auch das Interesse der Medien geweckt. Unter dem Titel «Raus aus der Schäm-dich-Ecke» attestierte die Basler Zeitung der Gellertkirche, dass ihr öffentliches Reden von Gott attraktiv sei und die Leute erreicht. Die TagesWoche ist kritischer. Sie sieht hinter der charismatischen Begeisterung mehr Frei- als Landeskirchliches. Im Interview konfrontiert sie Kirchenratspräsident Lukas Kundert mit der restriktiven Sexualmoral, die in der Gellertkirche vorherrsche, etwa  Vorbehalte gegenüber vorehelicher Sexualität und Homosexuellen. Für Kundert gehört zu einer liberalen Kirche, «das Anderssein der anderen anzuerkennen. Wir sind als Kirche keine Einheit, wir lassen ganz viele Bewegungen zu.» Kundert verweist auf andere Kirchgemeinden wie die Offene Kirche Elisabethen, in denen Schwule und Lesben dezidiert ihren Platz hätten.

Biblische Werte, keine Intoleranz
Die Gellertkirche betont in ihrer Stellungnahme: «Die Gellertkirche heisst alle Menschen willkommen, unabhängig von Geschlecht, sexueller Ausrichtung oder ihren moralisch-ethischen Vorstellungen. Wir stehen dazu, dass in der Gellertkirche biblische Werte vermittelt und gelebt werden.  Jedoch distanzieren wir uns von Intoleranz, dem Ausüben von Druck und ausgrenzendem Verhalten.»

Mit dem Ausbau der Gottesdienste erhält die Gellertkirche weiteren Zulauf. Am ersten Sonntag nahmen insgesamt 700 Erwachsene und hundert Kinder an den drei Gottesdiensten teil. Trotzdem beschäftigen die Schlagzeilen die Gellertkirche, und sie will ihre Arbeit auch selbstkritisch hinterfragen.

Magali Egger/tz, kirchenbote-online, 2. Februar 2018

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