News aus dem Kanton St. Gallen

«Als Fantasyautor würde ich die Zwerge Jiddisch reden lassen»

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24.11.2016
Ein neues Wörterbuch hat über tausend neue jiddische Wörter erfasst. Woher kommen die Einträge und was ist der Charme des Jiddischen? Ein Gespräch mit Thomas Meyer, Autor von «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse.»

Herr Meyer, wissen Sie, was ein «klug-mobilke» ist?
Klingt wie ein Smartphone.

Richtig. Der Begriff stammt aus dem neuen «Comprehensive English-Yiddish Dictionary», bei dem Tausende neue Begriffe dazu gekommen sind. Wer erfindet diese Wörter?
Das tun die Jiddisch sprechenden Menschen, von denen es vor allem in Israel und in den USA, in Brooklyn, viele gibt. Weltweit werden sie auf 350'000 geschätzt. Jiddisch ist eine gut 1000jährige Sprache, eigentlich ein mittelhochdeutscher Dialekt, der immer wieder Dinge neu benennen muss. Das geht dann wie bei den anderen Sprachen: Jemand erfindet einen Begriff, und der verbreitet sich dann von alleine.

Ist das Jiddische nicht wie das Rätoromanische?
Man versucht es, lebendig zu erhalten, aber eigentlich sterben die Sprechenden langsam aus. Nein, überhaupt nicht. Rätoromanisch ist geographisch sehr eingeschränkt, Jiddisch aber hat eine andere Ausbreitung und demzufolge viel mehr Sprechende.

Welchen Bezug haben Sie zum Jiddischen?
Ich habe eine jüdische Mutter.

Das alleine wird noch nicht reichen.
Richtig. Meine beiden Urgrossmütter stammten aus Polen und sprachen noch fliessend Jiddisch, aber meine Grossmutter kam bereits in Zürich zur Welt, und somit hatte meine Mutter eine andere Muttersprache. Bei mir ist das Jiddisch daher nur noch in Fragmenten angekommen. Als ich den «Wolkenbruch» geschrieben habe, habe ich, um die Sprache für mich zu beleben, Jiddisch-Wörterbücher meiner Mutter zu Rate gezogen.

Ich habe mir ein paar Ausdrücke aus Ihrem Buch herausgeschrieben: Ojgn, Nostichl, Polizaj, Tir-glok, Froj oder arajn. Haben Sie nicht auch gewisse Wörter erfunden?
Nein, das gibt es alles. Es wäre eine schöne Leistung, eine solche Sprache zu erfinden, aber sie existiert bereits. Für das Buch mussten wir allerdings eine einheitliche Schreibung bestimmen, denn im Jiddischen gibt es viele Unterdialekte, und jeder wird anders transkribiert. Dazu kommt, dass die englische und die deutsche Transkription voneinander abweichen.

Und das Wort «Blizbrif» für E-Mail haben Sie auch nicht erfunden?
Ich wäre gerne der Urheber, aber nein, auch dieses Wort habe ich im Internet gefunden.

Sprechen Sie Jiddisch?
Nein, aber ich könnte so tun: (lacht) Ich kennt asoj redn, dass Sie hubn den Eindruck, als ich kennt sprechn Jiddisch!

Gibt es in Zürich noch eine jiddischsprechende Gemeinschaft?
Ja, aber keine, in der man ausschliesslich Jiddisch spricht. Das gibt es nur in Israel und in New York. Ich schätze, dass von den 18'000 Juden in der Schweiz rund 3000 ein fliessend jiddisches Gespräch führen können. Die Muttersprache beispielsweise der Zürcher Juden ist aber Zürichdeutsch, nicht Jiddisch. Als frommer Jude wächst man in Zürich mit verschiedenen Sprachen auf: Hebräisch, Jiddisch, Englisch, Zürichdeutsch.

War das bei Ihnen so?
Nein, mein Vater ist reformiert, und die Familie war nicht religiös.

Sind Sie reformiert?
Nein, ich bin nicht getauft, rein technisch bin ich konfessionslos. Ich habe keine Religion, bin aber jüdisch geprägt.

Für die Ausübung des Judentums ist Jiddisch nicht notwendig, Hebräisch aber schon?
Im Prinzip ja, aber es gibt natürlich viele verschiedene Strömungen. Bestimmte Rabbis aus Osteuropa haben nur Jiddisch gesprochen, und für ihre Anhänger heute ist dann das Jiddische auch religiös gesehen wichtig.

Was fasziniert Sie am Jiddischen?
Ich finde diese Sprache sehr charmant. Im Klang und in der Formulierung ist sie immer amüsant, hat eine eigene Magie und klingt wie eine Märchensprache, die sprachlich nirgends andockt. Portugiesisch ist ein bisschen wie Spanisch, und Spanisch ein bisschen wie Italienisch. Aber das Jiddische steht für sich allein. Auf Jiddisch klingen die Dinge immer putzig. Sex haben heisst auf Jiddisch «schtupn», also anstupsen. Auf Deutsch klingen die entsprechenden Wörter schnell primitiv oder vulgär.

Und wie beleidigt man auf Jiddisch?
Man teilt keine vulgären Schimpfworte aus, sondern wünscht sich körperlichen Schmerz: «Salz dir in die ojgn, fefer dir in nos, a kramp dir in den lajb, brechn sollst du mit dem kop!» Wenn man so etwas zu hören bekommt, muss man doch lachen. Wäre ich Fantasyautor, ich würde die Zwerge Jiddisch reden lassen.

Matthias Böhni / ref.ch / 24. November 2016

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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