Zu Zwinglis Schrift über die Vorsehung von 1530
Gott selbst ist die Vorsehung
Die tröstliche Gewissheit, dass in allem Gottes Macht, Güte und Weisheit waltet, nennt Zwingli Erkenntnis der Vorsehung. Diese biblisch inspirierte Erkenntnis versucht er in seinem Werk über die Vorsehung philosophisch darzulegen. Dabei folgt er der neuplatonischen Ideenlehre. Gott ist das eine Sein, in dem auch die Seele als Entelechie gründet, ewig, dem Einen zugehörig.
Für Zwingli ist Vorsehung nichts anderes als Gott selbst – Gott, der als Macht (Vater), als Gnade (Sohn) und als Wahrheit (Heiliger Geist) den Menschen vom Anfang der Schöpfung her begleitet: im Sündenfall, in der Erziehung durch das Gesetz und durch die Gnade bis hin zu seiner Heimkehr in Gott. Durch die Erfahrung der Ungerechtigkeit reift der Mensch auf Erden zu seiner Bestimmung. Alles Übel kann die eine Gottheit nicht daran hindern, zu vollenden, was sie von Ewigkeit her beschlossen hat.
Dein Wille geschehe
Dieser feste Glaube in die Vorsehung Gottes ist bei Zwingli wohl auch biografisch bedingt –durch seine Pesterkrankung 1519. In seinem Pestlied ergibt er sich in den Willen Gottes. «Dein Gefäss bin ich; stell es wieder her oder zerbrich es.» Zwingli überlebte die Pest.
Aber nicht nur in Fragen um Leben und Tod sah Zwingli Gottes Vorsehung am Werk, sondern auch in den kleinen Dingen des Alltags.Wer an den Zufall glaubt, ist für ihn ein Atheist. Häufig erwähnt er die Worte Jesu, wonach Gott sogar unsere Haare gezählt habe oder dass kein Spatz auf den Boden fällt, ohne dass Gott es so fügt. Auch geht es ihm darum, dass der Mensch sich nicht etwas zuschreibt, was allein Gott zusteht. Selbst Jesus habe auf die Anrede: «Guter Meister» geantwortet, «Was nennst Du mich gut? Niemand ist gut ausser Gott.»
Und nicht zuletzt soll die Erkenntnis der Vorsehung helfen, Erfolge dankbar zu geniessen und grosszügig zu sein mit allen Mitmenschen. Und im Umgang mit dem Scheitern – «mit so harten Dingen» – könnten wir wachsen. «Mit welcher Seelenstärke werden wir dann über diese Welt aufsteigen» zur Gemeinschaft mit Gott!
Text: Andreas Schwendener | Bild: Ölgemälde von Hans Asper in der Zentralbibliothek Zürich – Kirchenbote SG, Januar 2017
Der garstige Graben der Geschichte — und das Gedenken der Reformation
Die Reformation hat die Bibel und das, wovon diese zeugt, neu zum Leuchten gebracht. Das Problem unseres Reformationsgedenkens ist aber, dass uns von diesen Lichtern, z. B. den Schriften Zwinglis, 500 Jahre geistesgeschichtliche und gesellschaftliche Entwicklung trennen, in Bezug auf das Evangelium sogar 2000 Jahre.
Säkularisiertes Weltbild
Aufklärung, Wissenschaften und Säkularisierung haben uns so geprägt, dass auch unser Weltbild säkularisiert ist, unser Denken und Erkennen. Das «Göttliche» hat darin keinen Platz mehr. Wir denken die Natur mechanistisch und die Institutionen pragmatisch und übergehen mit diesen Voraussetzungen so manche Lichter der Bibel oder der Reformatoren. Denn bei Zwingli (und in der Bibel) begegnen wir einem Denken, in dem Gottes Vorsehung alles durchdringt und lenkt und der Mensch daran erkennend Anteil nehmen kann.
Die Säkularisierung der Welt und des Denkens kann nicht der Weisheit letzter Schluss unserer Entwicklung sein – auch wenn kein Weg zurück führt, um die Natur, den Staat oder die Wissenschaft wieder den alten religiösen Konzepten anzuvertrauen. Diese Sakralität hat ausgedient. Ob eine neue Sakralisierung stattfinden kann, die vom Individuum ausgeht, nicht abgrenzend fundamentalistisch, sondern vernünftig, humanistisch, allgemein menschlich?
Potenzial
Zwinglis Schriften mit ihren philosopisch-anthropologischen Ansätzen enthalten noch ein unentdecktes Potenzial, Gott und die Religion als verbindende Menschheitsangelegenheit zu entdecken.