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Religionen

Wie der Theologe und Buchhändler Hans Rickenbach mit zwei grossen Lieben lebt

Der Franz von St. Gallen

18.12.2016
«Ein Weg, der mir geschenkt wurde.» Oder: «Eine Tür, die für mich aufgegangen ist.» So spricht Hans Rickenbach über seinen Lebensweg. Aber es hätte auch anders kommen können.

Denn der 75-Jährige mit dem freundlichen Gesicht und dem singenden Glarnerdialekt gehört zu einer speziellen Männer-Gruppierung. Diese Menschen sind katholische Theologen, haben in der Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanums in den 1960er-Jahren studiert, und sind Priester und Mönche geworden. Später haben sie diesen Beruf aufgegeben. Es ist ein Entscheid, um den sie gerungen haben. Von den 16 Kollegen, die zusammen mit Hans Rickenbach zum Priester geweiht wurden, ist die Hälfte nicht mehr in diesem Amt. Sie sind keine Einzelfälle. Manche beschäftigt der Entscheid ein Leben lang. 

 Schicksalsbegegnung in Fribourg

Hans Rickenbach ist glücklich über die Entscheidung, die er vor rund 40 Jahren getroffen hat. «Es gibt zwei grosse Lieben in meinem Leben: ein Leben in der Spiritualität von Franz von Assisi und meine Frau. Ein Doppelleben konnte ich mir nicht vorstellen, also habe ich mich für meine Frau und das Familienleben entschieden.» 

«Als Drittklässler liest er eine Biographie über Franz, die er auch heute noch aus seiner Bibliothek hervorholt.»

Eigentlich war seine Priesterlaufbahn vorgezeichnet. Nach dem Studium macht Rickenbach rasch Karriere im Kapuzinerorden. Er wird Assistent an der Universität Fribourg,
der heutige St.Galler Bischof Markus Büchel ist einer seiner Studenten. Der Glarner aus dem Flecken Netstal soll als Theologieprofessor nach Tansania gehen. In Fribourg studiert im Fach Heilpädagogik auch Elisabeth. Noch ist nicht klar, ob ihr Weg gemeinsam weitergeht. Aber Hans Rickenbach bleibt in der Schweiz und startet in Arth-Goldau innerhalb des Kapuzinerordens ein «Eremitorium». Es ist ein Kloster des Rückzugs für Kapuzinermönche und Laien, die Idee lebt heute im Kloster Rapperswil weiter.

Franz von Assisi als Vorbild

Hans Rickenbach ringt zweieinhalb Jahre um seine Lebensentscheidung. «Dann ist es ruhig in mir geworden, wie nach dem Sturm auf dem See Genezareth, den Jesus im Evangelium beruhigt.» Elisabeth und Hans Rickenbach-Widmer heiraten und werden Eltern zweier Kinder. Der ehemalige Priester macht eine Lehre in der Buchhandlung Rössli-Tor in St.Gallen und wird Buchhändler. Er geht in diesem Beruf auf und leitet die Abteilung für Kinder- und Schulbücher. Seine schönsten Erlebnisse sind, wenn er Jugendlichen ausgewählte Lehrmittel empfehlen kann, die ihnen weiterhelfen.  

Mit der Kirche hat Hans Rickenbach nicht mehr viel zu tun. «Ich bin überzeugt, Jesus wollte keine Priester und keine sakramentale Maschinerie.» Der Glaube und das Feuer der Theologie aber bleiben in ihm: «Ich bin eigentlich Mönch geblieben.» All das hat viel mit seinem Vorbild Franz von Assisi zu tun. Als Drittklässler liest er eine Biographie über Franz, die er auch heute noch aus seiner Bibliothek hervorholt. Mitte der 1990er-Jahre schreibt er eine Bestandesaufnahme über sein Leben mit dem Titel «Vertrauen in der Veränderung». 

Platz für mehr als eine Liebe

Es ist der franziskanische Geist des Urvertrauens, der in Hans Rickenbach lebt. Er kennt das Lob des einfachen Lebens und die Begeisterung der intellektuellen Auseinandersetzung. Dazu gehört das Projekt einer neuen sprach­lichen Form der Psalmen. Und er kennt die Freude am Zusammenleben und der Familie. In seinem Leben haben beide grossen Lieben ihren Platz gefunden. 

 

Text und Foto: Daniel Klingenberg, St.Gallen  – Kirchenbote SG, Januar 2017

 

Psalmen sind wie ein Betstuhl, der passt.

Hans Rickenbach, Sie haben eine neue sprachliche Form für die Psalmen gesucht. Warum?

Mir war schon als Mönch im Kapuzinerorden klar, dass es einen inneren Bezug zu den Psalmen braucht. Es macht keinen Sinn, die 150 Psalmen innerhalb einer Woche «runterzu­schnetzeln». So war die damalige Praxis.

Wie entsteht ein «Rickenbach»-Psalm?

Da ich im Studium kein Hebräisch hatte, nehme ich als Grundlage die schöne Übersetzung von Erich Zenger, den «Stuttgarter Psalter». Daraus übernehme ich, was passt, an allem anderen «schleife» und «frisiere» ich herum, bis es für meine Gebetspraxis «stimmt». Ich frage mich: Was kann ich für mich zum Gebet machen, was nicht?

Beten Sie häufig? 

Ich lebe mit den Psalmen und vielen anderen Gebeten, wie zum Beispiel dem «Erleuchtungsgebet» von Franz von Assisi. Als betender Mensch brauche ich keine Angst davor zu
haben, dass irgend etwas in meinem Leben mir den Boden unter den Füssen wegzieht. 

Was passt denn nicht an bisherigen Übersetzungen?

Zum Beispiel die Teile, in denen andere Menschen verflucht werden. Oder die Stelle im Psalm 137, wo die Kinder der Feinde am Felsen zerschmettert werden sollen.

In Ihrer Übertragung von Psalm 23 fällt auf, dass die Stelle «Du deckst den Tisch im Angesicht meiner Feinde» fehlt. 

Ich kann das so nicht beten. Es passt nicht zum jesuanischen Geist.

Warum? 

Darin steckte etwas vom Triumph über die Gegner. Zu Jesus würde eher passen, dass er die Feinde an seinen Tisch einlädt.

Auch bei Franz von Assisi gibt es diesen Geist, der Feinde durch die Art und Weise der Begegnung entwaffnet.

Es gibt eine sehr schöne Geschichte in den «Fioretti», den Legenden über das Leben von Franz. Darin ist eine Erzählung, in denen er von drei Räubern überfallen wird. Seine Güte überzeugt sie aber dermassen, dass sie schliesslich Franziskaner werden wollen.

Wie entscheiden Sie, was in die Psalmen-Übertragung kommt und was nicht?

Meine bisherige Beterfahrung ist: Es gibt Psalmen, bei denen der Geist Jesu fehlt. Sie sind wie ein Betstuhl, in dem ein Nagel vorsteht. In der Neuformulierung der Psalmen suche ich, was vor dem Herrgott und dem Herzen «stimmt». Und, siehe da: Dann wird der Psalm zu einem Betstuhl, in dem ich knien kann. (kl)