News aus dem Kanton St. Gallen

Die «Achter» kontrollierten streng

min
25.08.2017
Die Wurzeln des Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettags Mitte September reichen weit zurück und sind eng mit dem Staatswesen verknüpft. Eine Zeit lang herrschten unzählige Vorschriften und scharfe Kontrollen.

Buss- und Bettage gab es in der Schweiz schon im Spätmittelalter. Bis Ende des 18. Jahrhunderts ordneten die Eidgenössischen Tagsatzungen die Tage an – häufig in Notzeiten. Als unter Einfluss der Französischen Revolution die Untertanengebiete um ihre Freiheit stritten, gewann der Busstag an politischer Bedeutung. 1797 wurde er von Reformierten und Katholiken erstmals am gleichen Tag abgehalten und in Zukunft immer wieder vom Staat auf den zweiten Donnerstag im September angeordnet.

Zeichen der Verbundenheit

1798 gab die Helvetische Republik sogar ein Bettagsmandat heraus, das die grosse Bedeutung der Besinnung auf christliche Werte unterstrich. Der konfessionelle Bürgerkrieg – der Sonderbundskrieg von 1845 bis 1848 –, während dem die Eidgenossenschaft auseinanderzufallen drohte, führte dazu, dass der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag im folgenden Staatsgefüge zu einem fest verankerten Feiertag für beide Konfessionen wurde. Vom neu gegründeten Bundesstaat wurde er auf den dritten Sonntag im September jedes Jahr immer wieder neu mit Abendmahl angeordnet. Er war also ein eindeutig staatspolitischer Feiertag, der die Politiker und die Gesellschaft dazu aufrief, sich auf den Säulen des christlichen Glaubens für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen.

Häkeln, aber nicht stricken

Die Einhaltung des Feiertags wurde von Staat, Kirche und Gesellschaft sehr streng überwacht. In Gachnang zum Beispiel gab es die sogenannten «Achter»: Männer, die darauf zu achten hatten, dass an diesem Sonntag wirklich alle in die Kirche gingen. Auch gab es unzählige Vorschriften, was am Bettag erlaubt sei oder nicht; über diese wachten die «Stillständer» (Vorgänger der Kirchenvorsteher). So durften die Mädchen zum Beispiel häkeln, aber nicht stricken, denn das Stricken war ein Gewerbe, Häkeln jedoch nicht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlor der Dank-, Buss- und Bettag in Politik und Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Ein letztes gemeinsames Projekt zwischen Kantonen und Landeskirchen war 1980 der Versuch, den autofreien Bettag einzuführen, was sich aber nicht durchsetzen konnte.

Wenige Traditionen leben weiter

Persönlich bin ich froh, dass sich Staat und Kirche nicht mehr so direkt ins private Leben der Bürger einmischen. Aber ich bin auch dankbar, dass der Dank-, Buss- und Bettag heute noch im Kanton Thurgau als Feiertag gesetzlich geschützt ist. Dies ist ein Zeichen dafür, dass unser Staat sehr bedacht mit den Traditionen und den christlichen Werten unserer Gesellschaft umgeht und einmal mehr nicht blind dem Neoliberalismus in der Wirtschaftswelt folgt. Vom Bettagsmandat der «Kleinen Räthe» (Regierungsrat) ist heute nur noch die Bettagsansprache der Kirchenräte der reformierten und katholischen Landeskirchen übrig geblieben. Sie muss am Sonntag vor dem Bettag unter den Mitteilungen vorgelesen oder in die Predigt eingebaut werden. In Gachnang lebt noch die Tradition weiter, dass an diesem Festtag immer ein weltlicher Chor den reformierten Gottesdienst bereichert.

 

(Christian Herrmann, 21.08.2017)

Unsere Empfehlungen

Glücklich ist, wer freiwillig arbeitet

Glücklich ist, wer freiwillig arbeitet

Das Priestertum aller Gläubigen bekommt neuen Schwung: Mehrere Kantonalkirchen haben sich zusammengetan, um die Freiwilligenarbeit gemeinsam zu stärken. Dafür haben sie einen neuen Leitfaden herausgegeben.
«Wer hätte das gedacht?»

«Wer hätte das gedacht?»

Wilfried Bührer prägte die Evangelische Landeskirche Thurgau über Jahrzehnte. Im Rahmen eines grossen Festgottesdienstes wurde er Ende Mai 2022 verabschiedet. Einen besonderen Gruss überbrachte die Thurgauer Regierungspräsidentin Monika Knill, die einst seine Konfirmandin war.