Thomas Beerle, ein Pfarrer mit innovativen Ideen
Beziehungen sind das A und O
Viele Teilnehmer fingen Feuer für den Glauben, waren aber – und das war das andere Auffällige – nicht dazu zu bewegen, die herkömmlichen Angebote der Kirchgemeinde oder einen Sonntagmorgengottesdienst zu besuchen. Darum reifte in ihm der Gedanke, mit diesen Menschen ausserhalb der Kirchenmauern einen Weg zu gehen. Er hörte, dass die anglikanische Kirche genau das seit einiger Zeit bewusst machte. «Fresh expres-
sions of church» (Fresh X) nennt sie diese Formen von kirchlichen Start-ups. Dank der finanziellen Unterstützung der Kantonalkirche konnte Beerle 2008 – 2011 das Innovationsprojekt «Frischer Wind» im Werdenberg mit einem 50%-Pensum durchführen.
«Aktiv zu den Menschen hinzugehen, ist eine Herausforderung, die sich lohnt.»
In der Welt der Kunst
In den Kursen hat Beerle auch Künstlerinnen kennen gelernt. Er tauchte mit ihnen in eine neue Welt ein. Die Arbeit mit Kunstschaffenden wurde zum Hauptzweig seiner Tätigkeit. Er organisierte Ausstellungen, immer mit einem bewusst christlichen Thema. Unzählige Stunden Freiwilligenarbeit wurden dafür aufgewendet. Parallel entstanden Gesprächskreise über Gott und die Welt anhand der eigenen Kunstwerke. Ein zweiter Bereich war die internationale «marriage week», Angebote in der Valentinstagwoche speziell für Ehepaare: Ehekurse, Candle light Dinners in Restaurants, gemeinsame Kurse oder Tanzabende. Hauskonzerte mit Textlesungen fanden statt. Und das Café International wurde eröffnet, ein Treffpunkt für Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen, mit sieben Nationen im zwölfköpfigen Leitungsteam.
Vom Projekt zum Verein
Nach drei Jahren wurde dann der Verein «Frischer Wind» gegründet, finanziert durch Beiträge von Kirchgemeinden und Privatpersonen. Das «Café refresh» an der Buchser Bahnhofstrasse hat unterdessen einen anderen Namen und ein etwas anderes Publikum. Kunstausstellungen in einer LoungeBar finden nach wie vor statt.
Einer der Höhepunkte für Thomas Beerle war 2012 die weltweit erste Schliessfachvernissage «Buchs wird aufgeschlossen» mit nationalen und internationalen Künstlern im Bahnhof Buchs. Und die Ideen gehen ihm noch lange nicht aus.
Text: Marcel Wildi | Foto: Ruedi Buser – Kirchenbote SG, Mai 2018
«Das gemeinsame Essen ist ein wichtiger Faktor»
Wenn es nicht reicht zu warten, bis die Menschen in die Kirche kommen, muss die Kirche zu den Menschen gehen. Wie?
Das kann selbstverständlich mit der klassischen Arbeit im Pfarramt gemacht werden, mit Hausbesuchen etwa. Daneben möchte «Frischer Wind» neue Gruppen von Menschen mit neuen Formen von Kirche erreichen. Die anglikanische Kirche tut das seit etlichen Jahren mit Erfolg: einerseits weiterhin die Breite des Pfarramts und andererseits neue zielgruppenspezifische Angebote an ungewohnten Orten. Beides ist wichtig und darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Welches waren Ihre grösste Enttäuschung und Ihre grösste Freude?
Das berührendste Erlebnis war anlässlich der Führung einer Schulklasse durch eine Kunstausstellung. Bei einem Relief, das Geburt und Kreuzigung von Jesus verbindet, fragten Schüler, warum Jesus so leiden musste. Ohne mein Zutun haben andere Schüler geantwortet. Innert kürzester Zeit haben die Kinder untereinander die tiefsten theologischen Fragen diskutiert. Enttäuschend war, wenn Menschen, mit denen ich schon eine längere Zeit intensiv unterwegs war, sich wieder zurückzogen. Damit muss man zwar rechnen, aber es schmerzt halt doch. Insgesamt aber überwiegen die positiven Erlebnisse bei Weitem.
Was haben Sie bei «Frischer Wind» gelernt?
Viele Menschen sind der Kirche gegenüber skeptisch eingestellt, aber nicht der Frage nach Gott. Neue Formen bringen daher neue Möglichkeiten und Menschen können sich öffnen für eine Begegnung mit Gott. Aktiv zu den Menschen hinzugehen, ist eine Herausforderung, die sich lohnt und die funktioniert. Dabei eigene Grenzen zu überschreiten, bringt mich selber und andere weiter. Ohne ein motiviertes Team gelingt ein solches Unterfangen nicht und ohne eine treibende Kraft im Team mit genug Kapazitäten auch nicht. Dass solche «Fresh X»-Gruppen langfristig weiter wachsen, braucht allerdings mehr als drei Jahre Zeit. Und gemeinsam essen ist ein wesentlicher Faktor für diese beziehungsorientierte Arbeitsweise.
Interview: Marcel Wildi