News aus dem Kanton St. Gallen

Traummänner

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07.09.2018
Dein gehört mein ganzes Herz. Schlager und Filme führen uns das seit Jahrzehnten vor. Männer verlieren beinahe den Verstand, Frauen gehen völlig auf in den Armen des Geliebten. Eine Anhäufung von Klischees, die bis heute nichts von ihrer Faszination verloren haben. Ein weiblicher Blick auf den „schönen Mann“ lädt ein zu eigenständigen Gedankengängen.

Als ersten Auftrag nach meiner Ausbildungs-Magnet-Abstinenz soll ich einen Bericht über schöne Männer verfassen. Was für ein Thema! Schwierig ebenfalls, denn, schreibe ich nun aus Sicht der Frau oder der Fachfrau für Gesundheit?

Wieso dieses Dilemma? Nun, die Werbung beeinflusst tagtäglich auf allen Medienkanälen unser – so auch mein – Bild von Schönheit. Schönheit ist nicht mehr gottgegeben sondern sie wird per Drogen, Spritzen und dem Skalpell nach eigenen Bedürfnissen moduliert. Sein und Schein sind auch bei Männern hoch im Kurs. Wenig scheint Frau und Mann verwehrt, sich seinem Schönheitsideal oder seinem verehrten Idol zu nähern. Chemie und Medizin machen es möglich. Beinahe schon im Supermarkt-Einkaufs-Modus. Natürlich gegen ordentliche Bezahlung der neuen Ersatzgötter: Drogen wie Anabolika, Pfeilgift oder Kosmetiker und Schönheitsärzte. Ein Millionengeschäft!

Doch was ist, wenn sich Frau und Mann auf dem Holzweg befindet? Denn Schönheit, ist sie wirklich käuflich? Ich bin überzeugt, dass sich hier aus einer geschürten Unzufriedenheit eine Industrie gebildet hat. Ja, aus Unzufriedenheit wird verändert, gespritzt und geschnipselt. Sixpacks und Bizeps für die Einen, Silikon für die Anderen. Doch sehe ich einen anabolikagestählten Mann, denkt die FAGE-Ausgebildete in mir an Diabetes, Herzrhythmusstörungen und Nierenbeschwerden. Schön, nein, eher betroffen und entsetzt, dass ein Mensch seinen bisher gesunden Körper freiwillig foltert.

Schön ist stimmig

Ich begegne schönen Männern tagtäglich wenn ich mit offenen Augen durch die Welt gehe. Es sind aber keine Menschen, die für die Frontseite von Illustrierten geschaffen wären. Viel mehr sind es Details, welche den gesamten Mann schön erscheinen lassen. Vor Jahren arbeitete vis à vis meines Hauses ein Mann mit unverschämt schönem, taillenlangem, schwarzgewelltem Haar. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, habe ich dieses Bild einfach nur genossen. Oder dann ein Elektriker, der in der Praxis in Kloten, wo ich arbeitete, eine Reparatur machte. Er hatte ein wunderschönes, ebenmässiges Gesicht mit tiefblauen Augen, umrahmt von langen Wimpern. Diese Augen schienen zu glitzern, wie tausend Sterne. Ein Gespräch mit ihm war, als ob ich plötzlich in den Kosmos schauen könnte.

Augen, Stimme, Körper

Ganz anders ein Bekannter: schön ist wohl nicht das richtige Adjektiv, wenn ich ihn beschreiben müsste. Aber seine samtbraunen Augen! Sie strahlen so viel Empathie und Lebensweisheit aus, dass ich mich einfach sehr gerne in seiner Gesellschaft aufhalte. Diese Augen sind umwerfend. Genau dieses satte Braun, einen solchen Samtstoff würde ich gerne entwerfen können. Oder dann ein weitgereister Pensionär. Wenn er von seinen Abenteuern erzählt, lausche ich nicht nur seinen faszinierenden Geschichten, sondern vor allem seiner wohlig tönenden Stimme. Ich könnte ihm stundenlang zuhören. Seiner einschmeichelnden Stimme. Gerade als ich diesen Bericht schreibe, gehen die Leichtathletik-Europameisterschaften zu Ende. Am Computer schaue ich mir die Speerwerfer und die Zehnkämpfer an. Da gibt es Athleten mit wunderschönen Körpern. Ein Hingucker. Wunderbar!

Ein Genuss fĂĽr Sekunden

Schöne Männer gibt es überall. Dort ein wunderschöner, ebenmässiger Körper, da einzigartige Augen, schöne, schlanke Hände, ein elastischer, rhythmischer Gang, ein gut angezogener, stilvoller Mann. Ein umwerfendes Lächeln. Die wunderschöne Zweisamkeit von Männern im Spiel mit ihren Kindern, beinahe so schön wie die Gelassenheit und das innere Leuchten einer schwangeren Frau. Doch es gibt noch eine andere Schönheit, die ich erst auf den zweiten Blick erkenne. Die Schönheit beispielsweise von Sprachwitz, von Humor, von herrlich, liebevollen Lachfältchen. Das ist Genuss pur. Oft finde ich Sekunden der Schönheit beim Fotografieren. Wenn das Bild plötzlich total stimmig ist. Diese Sekunden sind so wertvoll. Dann erzählt das Foto eine ganze Geschichte. Das ist ein magisch schöner Moment.

Isabelle KĂĽrsteiner

Mehr zum Themenbereich im Septemberheft Magnet mit den Titel «Woran mein Herz hängt», PDF downloadbar unter hier