News aus dem Kanton St. Gallen

Neue Kirchenverfassung: Die Baselbieter Kirche wird mobiler

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25.10.2018
Die Baselbieter Kirche gibt sich eine neue Verfassung. Der erste Entwurf sieht die freie Wahl der Kirchgemeinde vor. Den Kirchgemeinden bietet er mehr Freiheit, zusammenzuarbeiten und zu fusionieren.

Die Verfassung sei im Pensionsalter, sagt Kirchenrat und Jurist Peter Brodbeck. In der Tat, die geltende Verfassung der Baselbieter Kirche ist 66 Jahre alt. Sie markierte damals gemäss alt Kirchenratspräsident Markus Christ mit der Gründung der Kantonalkirche den «Eintritt in ein ‹neues Zeitalter›». Das staatliche Kirchengesetz von 1950 und die Verfassung von 1952 hatten den Weg dazu bereitet, indem sie Kirche und Staat entflechteten. Das bewirkte den Ausbau der kirchlichen Behörden, analysierte der Historiker Daniel Hagmann. 1954 versammelten sich erstmals die Mitglieder der neu gegründeten Synode.

Jetzt steht die reformierte Kirche im Baselbiet erneut vor einem Aufbruch. Wie in den Fünfzigerjahren machten die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht vor der Kirche halt. Die Totalrevision der Verfassung soll dem Rechnung tragen. «Die Kirche hat sich seit 1952 gewaltig verändert», sagt Kirchenratspräsident Martin Stingelin. «Wir haben heute zwar mehr Mitglieder als damals, aber 1950 waren 73 Prozent der Baselbieter Bevölkerung reformiert, heute noch 30 Prozent. Wir haben deshalb heute in diesem Kanton eine andere Stellung.» Den vorliegenden Entwurf erarbeitete eine Gruppe, bestehend aus kirchlich engagierten Juristinnen und Juristen und dem Kirchenratspräsidenten, unter der Leitung von Peter Brodbeck.

Bekenntnis zur Volkskirche
Die Arbeit an der Verfassung verfolgt auch inhaltliche Ziele. Man befinde sich in einem Prozess der Selbstvergewisserung, meint Peter Brodbeck. «Wir müssen uns fragen, wo wir stehen, wohin wir wollen und was unsere Kirche ist.» Die neue Verfassung soll ein Bekenntnis zur Landes- und Volkskirche sein, sagt Martin Stingelin: «Wir wollen für die gesamte Bevölkerung da sein. Dies bekräftigt die neue Verfassung.»

Nun liegt ein erster Entwurf vor. Es fällt auf, dass er um einiges schlanker ist als das geltende Werk, das in 29 Artikeln neben Wesen, Aufgabe und rechtlichem Charakter vor allem den Aufbau der Kirche detailliert regelt. Der neue Entwurf umfasst zwanzig Paragraphen, die Organisation, Struktur, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen grundsätzlich festhalten.

Die Verfassung bekomme nun den Charakter eines Grundgesetzes, erklärt Peter Brodbeck: «Wir wollen flexibler auf Veränderungen reagieren können. Darum wollen wir die Details mit Folgeerlassen regeln.» Damit werde vermieden, dass bei jeder Neuerung eine Verfassungsänderung nötig wird, über die das Kirchenvolk entscheiden muss. Über die einzelnen Ordnungen bestimmt die Synode, die damit mehr Verantwortung erhält. Nach wie vor hätten aber die Kirchenmitglieder das letzte Wort. Denn die Beschlüsse der Synode unterliegen dem fakultativen Referendum.

Handlungsfreiheit für die Kirchgemeinden
Als Neuerung für die Mitglieder sieht der Entwurf die freie Wahl der Kirchgemeinde vor. Die Individualität sei heute ein Bedürfnis und die Mobilität hoch, sagt Martin Stingelin. Der Kirchenratspräsident rechnet nicht damit, «dass Tausende die Kirchgemeinde wechseln». Man wolle es jedoch etwa ehemaligen Kirchenpflegerinnen und -pflegern ermöglichen, in ihrer alten Kirchgemeinde aktiv zu bleiben, auch wenn sie ins Nachbardorf ziehen.

Die Kirchgemeinden sollen mehr Handlungsfreiheit erhalten. Die Vorlage ermöglicht verschiedene Formen von Kooperationen, von Verbünden bis zu Fusionen. Die demografische Entwicklung zeige, so Brodbeck, dass sich die Bevölkerung vom Oberbaselbiet in die Agglomeration rund um die Stadt Basel verschoben habe. Wollen sich kleine Kirchgemeinden miteinander verbinden oder gar fusionieren, muss dies derzeit die Mehrheit der Kirchenmitglieder genehmigen. Dies sei nicht sinnvoll, findet der Kirchenrat.

Die neue Verfassung habe keine direkten Auswirkungen auf die Organisation der Kirchgemeinden, betonen Brodbeck und Stingelin. Wie allfällige Fusionen konkret aussehen, legen die Kirchgemeinden selber fest. «Mit dem vorliegenden Entwurf könnten die heutigen Gemeinden eins zu eins beibehalten werden», hält der Kirchenratspräsident fest. «Die neue Ver-fassung ist die Anfrage an die Kirchgemeinden zu prüfen, ob und wie eine Zusammenarbeit Sinn macht.» Der geltende demokratische Prozess erschwere dies stark. Das Ziel sei es, beweglicher zu werden und Entwicklungen anzustossen.

Keine Sparmassnahme
Martin Stingelin erhofft sich von den Kirchgemeinden ein Umdenken. «Die Mitglieder sind schon lange mobil. Die Kirchgemeinden sind nicht allein unterwegs. Ich wünsche mir, dass die Kirchgemeinden hierfür ein Bewusstsein entwickeln und merken, dass sie ihre Kräfte zusammenlegen können, um ihre Aufgaben besser zu erfüllen.» Dies seien keine Sparmassnahmen, versichert der Kirchenratspräsident. Auch die neue Verfassung definiere die Kirchgemeinden als «unser wichtigstes Organ vor Ort», bekräftigt Peter Brodbeck. Die theologische Versorgung der Mitglieder vor Ort bleibe gewährleistet. Stingelin: «Es geht nicht um die Finanzen, sondern darum, dass die Kirchgemeinden ihren Auftrag leisten können.»

Karin Müller, 25. Oktober 2018

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