News aus dem Kanton St. Gallen

«Darf man eine Bibel im Altpapier entsorgen?»

min
15.10.2019
Ein neues Angebot der Nachwuchsförderung Theologie verspricht Action und Diskussionsstoff mitten in Basel und Zürich. Der «TheoTrail» ist eine Art theologischer Foxtrail. Der Kirchenbote hat die Schnitzeljagd getestet und dabei nicht nur knifflige Rätsel gelöst, sondern mehr über den eigenen Glauben erfahren.

«Michael, was glaubst du eigentlich?», fragt Jiri am Theaterplatz Basel, dem Start des TheoTrail-Abenteuers. «Hast du ne leichtere Frage, ich bin gerade aufgestanden», antworte ich in der Sonntagsmorgenherbstsonne. «Nein, ich mein es ernst, was glaubst du eigentlich?» «Vielleicht», beginne ich unsicher, «bin ich ein freidenkender Christ, der sein Herz nach göttlicher Weisheit ausstreckt, am Sonntag jedoch nicht in die Kirche geht.» «Ich würde mich als Freikirchler bezeichnen», erklärt Jiri. «Wichtig ist mir die Herzensbeziehung zu Gott.» Wer passt wohl eher auf den TheoTrail – ein Landeskirchler oder ein Freikirchler? Wir werden sehen. Die App «Actionbound» ist leicht installiert, die Inhalte schnell heruntergeladen. Es kann losgehen!

«Darf man eine Bibel im Altpapier entsorgen?», lautet der erste Diskussionsauftrag, als wir vor den spritzenden und schaufelnden Figuren beim Tinguely-Brunnen stehen. Ich frage Jiri: «Wenn ich zehn Bibeln zu Hause habe und mir eine neue kaufe, dann darf ich doch eine der alten entsorgen?» Jiri hat seine Antwort schon parat: «Geht doch nicht, eine Bibel ins Altpapier, diese Worte sind doch Leben und wollen weiterverschenkt werden.» «Stimmt eigentlich», geht es mir durch den Kopf, «vor Erfindung des Buchdrucks schrieben Mönche jede Bibel von Hand in mühevoller Arbeit ab. Ein unschätzbarer Wert, von dem wir noch heute profitieren.»

Glaube und Konsum
Zehn Minuten später: Wir stehen in der ausgestorbenen Freie Strasse, der Einkaufsmeile in Basel. Die Frage auf dem Smartphone zielt ganz weltlich auf das Konsumverhalten. «Wie viel Prozent aller produzierten Kleider enden innerhalb eines Jahres im Müll?» «30 Prozent», meint Jiri. «50 Prozent», gebe ich ein und erinnere mich an die vielen Löcher, die bei den billigen T-Shirts manchmal schon nach einem halben Jahr durchschimmern. «Kling!» Sie haben 90 Punkte, die richtige Lösung lautet 60 Prozent. Wer hat sich diese Rätsel wohl alle ausgedacht?

Theologische Fragen mal anders präsentiert
Der «TheoTrail» ist Teil einer Initiative zur Nachwuchsförderung, die von den reformierten Landeskirchen der Deutschschweiz und den theologischen Fakultäten Basel, Bern und Zürich getragen wird. Er bietet Kindern, Konfirmandenklassen und erwachsenen Abenteurern in den Städten Zürich und Basel eine Art theologischer Foxtrail. Das Angebot ist als nächstes für Bern und St. Gallen in Planung. Die Webseite von «TheoTrail» verspricht, dass die Hirnzellen gefordert werden und man seinen eigenen Überzeugungen auf den Grund geht. Dies zeigt sich gleich bei den nächsten Fragen.

Der folgende Posten zeigt, dass Nachhaltigkeit mit Glaube zu tun hat: «Beeinflusst mein Glaube, was ich einkaufe?» «Glaube zieht einen zur Verantwortung», meint Jiri. «Stimmt», witzle ich, «liebe deinen Schweizerbauern wie dich selbst. Wenn ich mich gesund ernähre, erfreut dies den Biobauern in der Nachbarschaft und schliesslich auch meinen Körper.»

Einladung am Münsterplatz
«Kling!», unterbricht uns das Handy. Jetzt wird es, das Basler Münster im Blick, abenteuerlich und gastfreundlich. Zuerst heisst es, den QR-Code ausfindig machen. Nach einigem Suchen scannen wir ihn irgendwo beim Münsterhüsli, in dem eine Gemeinschaft betet und Gastfreundschaft lebt. Die App lädt gleich dazu ein, an der Haustüre zu läuten und mit der Schwester einen Tee zu trinken. Das nenne ich Nächstenliebe!

Wo ist der Bettler?
Und dann stehen wir vor dem Münster mit Blick auf den heiligen Martin, der auf dem Pferd am Hauptportal thront. Der Heilige hat dem ursprünglich am Boden kauernden Bettler seinen halben Mantel gereicht. Die Reformation ersetzte den Armen durch einen Baum. «Was ist nach Ihrer Meinung der Grund dafür?», fragt das Handy. «Die Stadt Basel ging rigoros gegen das Betteln vor und entfernte mögliche Vorbilder» oder «Die Reformatoren wollten zeigen, dass bei Gott keine guten Werke zählen». Wir einigen uns auf die zweite Antwort und das Handy gibt uns recht. Hier sind wir erst am Anfang unserer theologischen Jagd, es folgen spannende Diskussionen, abwechslungsreiche Rätsel und so manches Rendez-vous mit unseren eigenen Überzeugungen.

«War das was für dich?»
«Und, Jiri, war der TheoTrail etwas für dich?», will ich am Ende der Route wissen. «Tut mir leid, Bruder», meint Jiri lachend, «wenn ich dich mit meinen Weisheiten nicht ausreden liess, aber es war so spannend, ich kam richtig ins Reden. Basel ist an mir vorbeigezogen, ohne dass ich es gemerkt habe.» Und so lautet unser Fazit zum «TheoTrail»: «Der Foxtrail bietet mehr Action, der TheoTrail hingegen eine vertiefte Diskussion über Gott und die Welt. Freikirchler und Landeskirchler, aber auch Kirchenferne kommen auf ihre Kosten, denn die Rätsel bieten ganz einfach auch anregende Dikussionen rund um wichtige Lebensfragen. Übrigens: am Schluss des TheoTrails haben wir es geschafft, den Highscore zu knacken, und hoffen natürlich, dass wir möglichst lange zuoberst auf der Liste stehen.

Michael Schäppi, kirchenbote-online, 15. Oktober 2019

Unsere Empfehlungen

Kunstwerke als Botschafter eines bedrängten Landes

Kunstwerke als Botschafter eines bedrängten Landes

Die Ukraine kämpft um ihr Überleben. Auch die Kunst des Landes leistet ihren Beitrag dazu. Das Kunstmuseum Basel präsentiert derzeit in der Ausstellung «Born in Ukraine» eine Auswahl bedeutender Werke aus der Kyjiwer Gemäldegalerie, dem nationalen ukrainischen Kunstmuseum.
Frauen mit einem abenteuerlichen Herzen

Frauen mit einem abenteuerlichen Herzen

170 Jahre nach der Gründung des Diakonissenhauses Riehen beleuchtet eine Ausstellung mit Fotos und Texten die Geschichte der Kommunität. Sr. Delia Klingler lebt seit 2017 als Schwester hier. Der Kirchenbote hat mit ihr die Ausstellung besucht.
Wenn der Glaube einem die Schuhe auszieht

Wenn der Glaube einem die Schuhe auszieht

Die Passionszeit ist traditionell die Zeit des Fastens und der Meditation. Der Journalist Stefan Degen hat «ein Sitzen in der Stille» in einer Kirche besucht und festgestellt, wie frei die Gedanken schweifen. Bericht eines Selbstversuchs.