News aus dem Kanton St. Gallen

Leeres Grab und viele Fragen

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11.04.2020
Die Auferstehung von Jesus Christus ist Dreh- und Angelpunkt des Glaubens, aber auch eine verstörende Zumutung. Wie kann man davon erzählen? Wie haben es die Evangelisten getan? Und wie tun es Pfarrerinnen und Pfarrer heute? Fragen an den Theologen Ralph Kunz.

«Geheimnis des Glaubens», heisst es in der katholischen Liturgie, wenn von Auferstehung die Rede ist. Ist es das auch für Sie?
Raph Kunz: Geheimnis ist ein wunderbares Wort, um die Wahrheit von Auferstehung zu beschreiben. Es ist ein anderes Wort für Gott in der Theologie wie in der Religionsphilosophie.

Das schliesst jetzt aber nicht aus, dass wir diesem Geheimnis etwas näher auf die Spur kommen wollen ...
Nein. Natürlich nicht. Wobei: Es gibt einen Unterschied zwischen einem Geheimnis und einem Rätsel. Ein Geheimnis wie jenes der Auferstehung lädt ein zum Feiern, zum Erzählen, zum Staunen. Es macht kreativ, es inspiriert, schafft Bilder. Anders beim Rätsel, da grübelt man darüber.

Einer der Ersten, die von der Auferstehung erzählen, ist der Evangelist Markus. Wie macht er das?
Markus ist einzigartig. Er erzählt nichts über die nachösterliche Erscheinung von Christus. Alle anderen Evangelisten erzählen vom Auferstandenen, der den Jüngern erscheint. Bei Markus fällt das weg.

Was soll man davon halten?
Das ist doppelt auffällig, weil Markus vermutlich als Erster die Form des Evangeliums geprägt hat, und er zweitens der Evangelist ist, der die menschliche Seite sehr plastisch erzählt. Wie kein anderer der Evangelisten beschreibt er auch die Passionsgeschichte ganz drastisch. Sein Jesus ist der Mensch, der sich von Gott verlassen fühlt. Man fragt sich also schon, warum er die nachösterlichen Begegnungen seinen Lesern vorenthält. Und hier wirds interessant. Bei Markus ist das leere Grab die Hauptbotschaft. Bei ihm ist die Auferstehung das Wunder aller Wunder. Er entzieht diesen auferstandenen Christus dem Blick. Damit steigert er diese verstörende Botschaft. Er beschliesst sein Evangelium mit den Frauen am leeren Grab, die starr sind vor Entsetzen.

Was macht das mit den Lesern?
Das ist eine Art Cliffhanger – die Theologin Eve-Marie Becker beschreibt das so –, um die Leser wieder an den Anfang seiner Schrift zu lenken. Und dort heisst es: «Das ist das Evangelium von Jesus Christus.» Das ist ein Fachausdruck aus der römischen Welt und beschreibt die Geburt eines neuen Cäsars, eines Weltenherrschers. Markus bedient sich also dieses Ausdrucks der damaligen Weltmacht und sagt: Das ist das Evangelium des Jesus, jenes Schreiners von Nazareth. Und der Gekreuzigte ist der Christus, der Gesalbte.

Und die anderen Evangelisten? Halten sie die Spannung nicht aus, die das leere Grab hinterlässt und formulieren die Pointe noch aus?
Sie beschreiben einfach aus unterschiedlicher Perspektive etwas, was sich uns letztlich – historisch gesehen – entzieht.

Das heisst ...
Es gibt keine historischen Beweise für die Auferstehung. Ist ja logisch! Wie für vieles Wichtige im Leben: Dass mich meine Frau liebt, dafür gibt es auch keine historischen Beweise. Vielleicht findet man mal einen Liebesbrief – und von dem aus kann man darauf schliessen. Wir reden hier von einer anderen Dimension der Wirklichkeit – und da sind wir wieder beim Geheimnis. Oder – auf mein Beispiel gemünzt – doch bei einem Rätsel ...

Zurück zu den anderen Evangelisten. Sie schreiben die Geschichte nach dem leeren Grab weiter ...
Der Auferstandene, von dem sie erzählen, bestätigt den Jüngern, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Matthäus schildert, dass der Auferstandene seine Jünger in die Welt hinaus sendet. Er gibt ihnen einen Auftrag zur Mission. Man kann Erscheinungsgeschichten aus historisch-kritischer Sicht als symbolische Einkleidungen bezeichnen, von dem, was diese damals junge Christengemeinde erfahren hat. Sie hat sich als eine Gemeinde verstanden, die vom lebendigen Gott gesendet ist. Bei Lukas wird dieser Auftrag zur Mission gekoppelt mit der Auffahrtsgeschichte. Dort liest man von Christus, der sagt, ich gehe, schaut nicht in den Himmel, folgt dem Weg, den ich euch gezeigt habe. Übrigens findet man die Sendungs- und Auffahrts-Geschichten des Auferstandenen auch im Markus-Evangelium. Diese Verse (16,9 – 20) sind allerdings nachträglich beigefügt worden.

Verschiedene Beschreibungen der Auferstehung, nachredigierte Evangelien – wie gehen die Studierenden mit solchen Erkenntnissen der Bibelforschung um?
Wenn man sich mit der Bibel wissenschaftlich beschäftigt, gibt es erstmal eine Dekonstruktion des Buchstabenglaubens. Die Studierenden sind dauernd damit konfrontiert und merken, dass sie ihren kindlichen, einfach gestrickten Glauben so nicht durchhalten können.

Das kann einen ziemlich durchschütteln?
Ja, aber das ist ein heilsamer Prozess. Das heisst dann aber noch lange nicht, dass man nicht mehr an die Auferstehung glaubt. Man muss für sich klären, was und wie man glaubt. Die Studierenden erfahren auch, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, Geschichten zu verstehen. Auch mit der historisch-kritischen Methode ist die Frage ja nicht geklärt, ob das Grab leer war oder nicht. Und auch wenn das Grab nicht leer war, ist die Auferstehung noch nicht erledigt. Wenn das die Studierenden einmal gemerkt haben, ist diese zersetzende Seite der Relativierung des Geschehens am Grab weg, und es wächst die Lust zu rekonstruieren.

Diese Lust ist gefragt, wenn man über die Auferstehung predigt. Wie geht man das an?
Es gibt viele Möglichkeiten, um über die Auferstehung zu sprechen. Sie bleibt aber, wie auch die Rede über Gott, am Schluss ein Geheimnis und unverfügbar. Jeder muss einen spirituellen Weg gehen. Ich kann anderen nicht das von mir gemalte Bild von Gott um die Ohren hauen.

Was dann?
Der Weg muss sein, dass ich zuerst Hörer des Wortes bin, bevor ich es anderen zu hören gebe, das heisst selbst erfasst und begeistert bin von dem, was sich mir zeigt. Gott erschliesst sich mir und jenen, die mit mir zusammen auf der Suche sind. Und die Auferstehung ist eine Story, die das paradigmatisch zum Ausdruck bringt. Es ist ja eine unglaubliche Geschichte! Sie identifiziert den Gott, den Jesus verkündigt hat, mit dem Gott, der den Gekreuzigten von den Toten auferweckt hat. Sie offenbart, dass sich der lebendige Gott mit dem Gekreuzigten identifiziert. Die Auferstehung ist Naht- und Scharnierstelle unseres Glaubens: Der Gekreuzigte ist der Auferstandene.

Was bedeutet das für heute?
Wenn ich in diese Welt hinaussehe – dann muss ich mich ja auch immer fragen: Warum all dieses Leiden, warum dieser Schmerz? Was ist denn der Sinn von dem allem? Und die Identifikation, dass wir Mitleidende sind, dass Gott mitleidend ist. Die Leidenschaft von Gott, die Passion von Gott, die hat in der Auferstehung ihre Bestätigung – und daraus wächst Hoffnung, eine Kraft und Kreativität. Darum ist die Osterpredigt immer wieder brandaktuell, explosiv und innovativ. Auferstehung heisst: Es ist noch nicht alles fertig, es ist noch nicht alles gesagt. Diese Welt ist noch nicht fertig. Wir sind noch nicht fertig. Die Geschichte ist offen. Und das ist die Hoffnung, die uns produktiv werden lässt.

Als Beispiel für diese Kraft der Auferstehungsgeschichte kann man auch den Apostel Paulus herbeiziehen ...
Paulus ist von A bis Z ein Auferstehungsprediger. Er verkörpert die umstürzende Wirkung der Christuserfahrung. Christus krempelt das Leben des Paulus total um. Paulus erlebt das Revolutionäre der Auferstehung und lebt diesen Protest, die der Auferstehung innewohnt, auf kreative Weise aus. Die Auferstehung tröstet nicht. Sie provoziert. Treibt an zur Mission der ganzen Welt, wie sie Paulus gleich selber unternimmt.

Interview: Christian Schenk, notabene, April 2020
«notabene» ist die Zeitschrift für Mitarbeitende der reformierten Kirche Kanton Zürich

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