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Prächtige Architektur – blutiges Erbe

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04.10.2020
Villa Patumbah erzählt die Geschichte, wie ein Zürcher reich wurde und die Schweiz ins System des Kolonialismus eingebunden war. Eine Ausstellung erhellt nun dieses Kapital Kolonialgeschichte

Villa Patumbah – Schon der erste Blick auf die mit Stuck und Wandmalereien verzierte Fassade mit den Löwen- und Tigerköpfen bringt den Betrachter ins Staunen. Ende des 19. Jahrhunderts war das gewagt. Ein solch verschwenderischer Gestus ist im protestantischen Zürich eher rar gewesen. Dass aber diese Villa 125 Jahren nach ihrer Erbauung im Originalzustand erhalten blieb, steht auch dafür: für die Bewahrung des kulturellen Erbes. Ganz sinnfällig beherbergt der Prachtbau seit 2013 das Zentrum des Schweizer Heimatschutzes.

Mit Kulis zum grossen Geld
Dieses Bijou erzählt noch eine andere Geschichte: Wie der Bäckerssohn Karl Fürchtegott Grob in die Fremde auszog und als Tabakpflanzer in Sumatra ganz schnell zu ganz viel Geld kam. Nun erinnert eine Ausstellung in der von ihm erbauten Villa an seine Vita, an die Quelle seines Reichtums: an die Tabakplantagen in Sumatra, die dank dem sklavenhalterischen Arbeitssystem Grob immense Profite einbrachten. Schon nach zehn Jahren in den Tropen kehrte der Pflanzer mit einem unermesslichen Vermögen in die Schweiz zurück.

Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, um im Park seiner 1885 erbauten Prachtvilla zu wandeln. 1893verstarb er. Kurios dabei: Seine frommen Erben, seine Ehefrau Anna Dorothea Grob-Zundel und ihre beiden Töchter, vermachten 1911 die Villa Patumbah dem Diakoniewerk Neumünster. Das ist sozusagen eine spirituelle Geldwäsche des mit Peitschenhieben und Landenteignung erworbenen Reichtums. Denn die Tabakpflanzer fragten die Einheimischen nicht, ob sie ihnen Landrechte abtreten wollten. Sie wendeten sich vielmehr an den Sultan von Deli. Der lokale Herrscher war wenig am Wohl seiner Untertanen interessiert, dafür mehr an seinem privaten Reichtum. Für Grob und seinen bayrischen Kompagnon Näher war es so ein leichtes, ein Besitztum von 25’000 Hektaren zu erwerben.

Natürlich begehrte die Urbevölkerung gegen den Landraub des von ihnen seit Jahrhunderten extensiv genutzten Landes auf. Die Ausstellung verweist auf die Konflikte. Die Bataker als Bergbewohner Sumatras verwüsteten 1872 einige Plantagen. Aber die Armee der holländischen Kolonialherren schützte das unter Zwang von den Kolonialisten angeeignete Land.

Mord an Schweizer Kolonialist
Spannungsgeladen war auch das Verhältnis zu den Kulis, den billigen Arbeitskräften, die aus China und der benachbarten Insel Java stammten. Sie bestellten die Tabakplantage, entfalteten die Tabakblätter für die Fermentierung und bündelten die Ware sauber für den Export. Geringer Verdienst, schlechte Unterkünfte und selbstherrliche Oberaufseher schufen ein Hassklima. Der Schweizer Theodor Meyer wurde 1871 zusammen mit einem anderen Schweizer von Kulis erschlagen. Mehr Glück hatten Meyers Brüder, die wie Grob zu grossem Reichtum kamen. Einer von ihnen bewohnte nach der Rückkehr die Villa Rainhof, in der heute das Botanische Museum der Universität Zürich eingerichtet ist.

Dass sich die Schweizer Kolonialisten als eine besondere Spezies Mensch vorkamen, zeigt das ausgestellte Büchlein des «Schweizer Verein Deli-Sumatra». Da notierte der Vereinschronist: «Die verschiedenartigen Schweizer Pioniere und ihre Nachfolger bildeten bis auf eine kleine Minderzahl, die aus irgendeinem Grund versagten, ein wertvolles Material von Menschen, die über dem Mittel ihrer Altersgenossen in Europa standen.»

Grobs Geschichte, Reichtümer anzuhäufen, lenkt den Scheinwerfer auf eine bisher verdrängte Vergangenheit: auf die Verwicklung des Binnenlands Schweiz in der Ära des Kolonialismus. Judith Schubiger, die zusammen mit ihren Kolleginnen Karin Artho und Céline Hugdie Ausstellung konzipiert hat, sagt denn auch: «Uns ist es wichtig, die frühen globalisierten Verflechtungen der Schweiz aufzuzeigen.»

Sie tragen aber diese Geschichte aus dem Heimatzentrum hinaus auf die Strasse und haben deshalb den Rundgang «Koloniales Zürich» konzipiert. Hier werden einige weitere Biografien von Kolonialisten vors Auge in Zürich Seefeld geführt. Und auch zum Paradeplatz, wo die «Erfolgsstory» des Onkels des mächtigen Politikers und Eisenbahnbarons Alfred Escher erzählt wird, der in Kuba dank der Sklavenwirtschaft ein grosses Vermögen anhäufte.

Delf Bucher, reformiert.info

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