News aus dem Kanton St. Gallen

Alle gehören dazu

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23.02.2021
Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung sind oft aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Im integrativen Religionsunterricht ist «Anders sein» keine unüberwindbare Barriere.

Nur in der Hälfte der rund 20 Sonderschulen im Thurgau wird Religionsunterricht erteilt. Damit haben rund 300 Kinder und Jugendliche keinen Religionsunterricht. «Dabei wäre es wichtig, gerade ihnen die befreiende Botschaft von Jesus Christus zu bringen, damit sie für ihre besondere Situation und ihr Leben Kraft und Mut bekommen», sagt Pfarrer Haru Vetsch aus Frauenfeld. Der Integrationsbeauftragte der Evangelischen Landeskirche Thurgau wurde vom religionspädagogischen Fachgremium der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz in die Ausbildungsleitung gewählt. Mit seiner katholischen Mitarbeiterin betreut er die ökumenische Ausbildung für heilpädagogischen Religionsunterricht (HRU).

Weil Anderssein normal ist
Integration gehe nicht nebeneinander, sondern nur miteinander, betont Vetsch. Anders als beim heilpädagogischen Religionsunterricht in einer Institution findet der kirchlich verantwortete integrierte Unterricht zusammen mit Kindern aus der Regelklasse statt. Die Lehrpersonen sind in diesen gemischten Gruppen besonders gefordert, ihr Unterricht soll den unterschiedlichen Ansprüchen und Möglichkeiten aller gerecht werden und das Miteinander stärken. In einer einjährigen Zusatzausbildung HRU können sie dieses besondere Know-how erwerben, um auf die individuell unterschiedlichen Bedürfnisse einzugehen und integratives Feiern kreativ gestalten zu können. Vor ihrer Ausbildung zur Katechetin hat Shaila Vaiano aus Eschlikon mehrere Jahre im Behindertenbereich gearbeitet. Im Januar 2021 begann sie die Zusatzausbildung HRU: «Damit schliesst sich für mich ein Kreis. Im Glauben gewachsen nehme ich neugierig auf, was uns die Dozenten mit ihrem reichen Erfahrungsschatz an Rüstzeug vermitteln. Ich schätze die praktischen Inputs und den Austausch in der Gruppe.» Kursteilnehmer Marcel Urban aus Weinfelden teilt die Einstellung. Der Sozialdiakon und Gemeindeanimator HF ist Jugendarbeiter bei der Evangelischen Kirchgemeinde Wil.

Fehlendes Wissen zur Willkommenskultur
Weil alle, die wollen, zur christlichen Gemeinde gehören, beschränkt sich Integration nicht auf die Katechese im Klassenzimmer. Kinder und Jugendliche mit einer Einschränkung ins kirchliche Leben zu integrieren, erfordert von der ganzen kirchlichen Gemeinschaft, Barrieren abzubauen, die die Teilnahme am kirchlichen Leben be- oder gar verhindern. Besonders die Barrieren in den Köpfen. Meist fehlt es dazu am Wissen, nicht am Wollen. «Seitens der Kirchgemeinden verspüre ich immer eine offene Haltung und Bereitschaft zur Integration von Menschen mit einer Behinderung», so die Erfahrung von Shaila Vaiano. Wie die Integrationsabsicht in Kirchgemeinden bei Eltern und Kindern mit und ohne Beeinträchtigung ankommt, kann Marcel Urban schwer einschätzen: «Einerseits sind wir soziale Wesen, andererseits lehnen wir ab oder grenzen aus, was anders ist und nicht unserer Norm entspricht.»

Für Fachpersonen und für Laien
«Wir können nicht einen dreijährigen heilpädagogischen Lehrgang ersetzen, sondern wir wollen erfahrene Religionslehrpersonen sensibilisieren, ihren Unterricht für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung anzupassen», sagt Haru Vetsch. Die kirchlich zertifizierte komplette Zusatzausbildung mit Grundmodulen, Fachdidaktik und Unterrichtspraktikum richtet sich daher an Katechetinnen und Katecheten mit Berufserfahrung. Für die drei Grundmodule «Glauben erleben», «Einführung in die Heilpädagogik» und «Inklusive Religionspädagogik» können sich auch kirchliche Mitarbeitende anmelden, die sich für eine barrierefreie Willkommenskultur und integratives Feiern interessieren.

Der nächste Lehrgang für die einjährige Zusatzausbildung HRU findet von Januar bis November 2022 statt. 2023 gibt es keinen Kurs. Interessierte können sich unter www.kirchliche-heilpaedagogik.ch informieren und direkt bei Haru Vetsch anmelden: haru.vetsch@evang-tg.ch, 052 721 22 27.

 

(Brunhilde Bergmann)

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