News aus dem Kanton St. Gallen

Kann die Technik die Welt retten?

min
25.05.2021
Mit seinem Buch «Wie wir die Klimakatastrophe verhindern» erregte der Multimilliardär Bill Gates grosses Aufsehen. Er setzt auf technische Lösungen. Ob dieser Ansatz reicht, um die Klimaerwärmung zu verhindern, sagt Umwelt-Experte Kurt Zaugg-Ott, Leiter von «oeku Kirchen für die Umwelt».

Kurt Zaugg, was dachten Sie, als Sie hörten, dass Microsoft-Gründer Bill Gates das Klima retten will?
Ich bin oft erstaunt, wie solche Persönlichkeiten im Netz zur Hassfigur werden. Für mich ist er das nicht. Bill Gates ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der mit Microsoft zu einem der reichsten Leute der Welt wurde und offensichtlich jetzt Zeit hat, sich anderen Themen zu widmen.Mit seiner Stiftung setzt er sich für das Gesundheitswesen in der Dritten Welt ein, im Klimawandel hat er ein neues Feld gefunden.

Worin unterscheiden sich Greta Thunberg und Bill Gates?
Bill Gates hält am American Way of Life fest. Um den Lebensstil nicht zu ändern, sucht er einen Weg, um so viel Energie wie möglich zu generieren. Wenn diese CO2-frei ist, ist für ihn das Problem gelöst. Während Greta Thunberg und die Klimajugend einen stärker moralischen Ansatz verfolgen, der die Verantwortungen betont und die Veränderung des Lebensstils verlangt. Bill Gates hält dies für unrealistisch und verfolgt einen rein technischen Ansatz.

Bill Gates verfolgt einen radikalen Ansatz und fordert null CO2-Ausstoss. Ist dies realistisch?
Das ist nicht radikal, sondern realistisch.Seit der Klimakonferenz in Paris wird deutlich,dass man zur Lösungdes Klimaproblems ganzvon der fossilen Brenn- und Treibstoffwirtschaftwegkommen muss. Einsparungen und dieDrosselung des Benzinverbrauchs reichen nichtmehr, wir müssen auf andere Techniken setzenund als Gesellschaft lernen, uns anders zu verhalten.Wir müssen ganz auf erneuerbare Energieumsteigen. Das bejaht auch der Bundesrat,der bis 2050 beim CO2-Ausstoss eine Null erreichenwill.

Für Gates hängt der Wohlstand mit dem Energieverbrauch zusammen. Den Reichtum der Industrieländer führt er auf ihre Energieressourcen zurück. Diese fehlten den Entwicklungsländern. Als Folge komme es zu Arbeitslosigkeit und Armut. Für Bill Gates ist die Frage des Energieverbrauchs auch eine der sozialen Gerechtigkeit.
Das ist sicher eine richtige Beobachtung, wobei ein beliebiges Mehr an Energie nicht das Glück und den Wohlstand erhöht. Die ETH Zürich verfolgt mit ihrem Modell der 2000-Watt-Gesellschaft einen anderen Ansatz: Ein konstanter Energieverbrauch von 2000 Watt pro Kopf ermöglicht es allen Menschen, einen guten Lebensstandard zu erreichen. Das Konzept will ein minimales Angebot für alle sichern, sodass alle in einem gewissen Wohlstand leben können. Gates’ Ansatz, je mehr Energie umso besser, ist nicht zielführend.

Lebt der Westen in Sachen Klimawandel nicht auf Kosten der Entwicklungsländer? Die meisten Menschen sind noch nie geflogen, während andere zum Shopping nach New York fliegen.
Ja, nur eine Minderheit hat den Zugang. Aber inzwischen holen andere Länder auf. China hat die USA beim CO2-Ausstoss schon überholt.

Wie kann man die Energieungerechtigkeit lösen?
Das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft, die sich mit erneuerbarer Energie versorgt, scheint mir vernünftig. Wir müssen unseren Energieverbrauch drosseln. Wir können nicht ganze Landschaften mit Solar- und Windanlagen zupflastern, nur um möglichst viel Energie zu produzieren. Man muss auch auf die ökologischen Aspekte Rücksicht nehmen.

Bill Gates setzt da auf eine neue Generation der Atomkraftwerke. Wäre das eine Lösung?
Da bin ich kritisch. Gates ist erstaunlich zurückhaltend bei seiner Forderung nach Atomenergie. Er spricht von einer neuen Generation von sicheren Reaktoren. Doch diese gibt es noch nicht, und die Realisierung braucht Jahrzehnte. Für das Abwenden einer Klimakatastrophe kommen sie zu spät.

Können technische Innovation und Erfindungsgeist den Klimawandel aufhalten?
Ohne die technischen Innovationen geht es nicht, deshalb bietet Gates’ Buch einen interessanten Ansatz. Doch am Beispiel des Fliegens zeigt sich, dass es nicht reicht. Den Flugverkehr kann man im heutigen Ausmass nicht mit klimaneutralem Treibstoff betreiben. Dieser ist rund sechsmal teurer als normaler Treibstoff. Die hohen Kosten werden dazu führen, dass weniger geflogen wird. Das wäre keine Katastrophe. Die Covid-Pandemie hat gezeigt, so viele Flüge braucht es nicht, Geschäftsleute können übers Netz kommunizieren, und für gelingende Ferien sind Flüge nicht zwingend.

Für die Betroffenen hat dies Konsequenzen. Swiss streicht Hunderte Stellen. Führt die Energiewende zu mehr Arbeitslosen?
Ich bin überzeugt, dass dem nicht so ist. Durch die Umstrukturierung gehen in CO2-intensiven Branchen Arbeitsplätze verloren, etwa im Braunkohlebergbau oder beim Unterhalt fossil betriebener Fahrzeuge. Auf der anderen Seite entstehen in der Solar- und der Windenergie, bei der Elektromobilität oder der Regelungstechnik viele neue Jobs.

Werden sich die Schwellenländer an der Bekämpfung des Klimawandels beteiligen?
Natürlich geht es nicht, ohne dass Länder wie China mitmachen. China hat beschlossen, den den CO2-Ausstoss zu begrenzen und später zu senken. Einerseits stösst es Unmengen von CO2 aus, andererseits baut das Land seine Infrastruktur um und stellt einen grossen Teil der Solarpanels her, die wir benötigen. China ist nicht einer der Bremser, sondern bietet Hand für Lösungen.

Wir stehen kurz vor der Abstimmung über die CO2-Vorlage. Die Schweizer Umweltpolitik basiert auf Steuern. Bei klimagerechten Investitionen ist der Staat zurückhaltend.
Die CO2-Abgabe ist keine Steuer, sondern eine Lenkungsabgabe. Diejenigen, die einen hohen Ausstoss von Treibhausgasen haben, sollen dafür bezahlen, etwa wenn sie fliegen oder Auto fahren. Diejenigen, die weniger fossile Energien brauchen oder zu erneuerbaren Energien wechseln, werden davon profitieren. Die Vorlage ist ein kombiniertes Paket aus Lenkungsabgaben und Einlagen in einen Klimafonds, mit dem Innovationen gefördert werden. Gleichzeitig werden die Vorschriften zum CO2-Ausstoss verschärft.

Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem Klimawandel. Sind Sie zuversichtlich, dass der Ausstieg aus der fossilen Energie gelingt?
Wenn ich sehe, wie langsam und träge das neue CO2-Gesetz zustande gekommen ist, zweifle ich manchmal. Ich beobachte jedoch eine neue Dynamik, die das Umsteigen auf erneuerbare Energieträger beschleunigen könnte. In der Politik, der Wirtschaft und auch der Kirche gibt es einen Generationenwechsel, und es setzt sich die Einsicht durch, dass wir die Veränderung aktiv angehen müssen. Denn es geht um unsere Zukunft.

Trotzdem, der Wandel ist eine enorme Aufgabe.
Im Moment haben wir das Gefühl, diesen Berg nie bewältigen zu können. Zu 70 Prozent sind wir von nicht erneuerbarer Energie abhängig. Doch Techniker und Wissenschafter rechnen uns ja vor, dass der Wandel möglich ist. Es ist eine Frage des Willens. Es braucht den politischen Willen, und wir müssen bereit sein, in die Zukunft zu investieren.

Und zu diesen Technikern gehört der Milliardär Bill Gates.
Genau. Wirtschaftskapitäne, die ihr Geld in Alternativen anlegen, leisten einen wichtigen Beitrag.

Zum Schluss: Bill Gates isst gerne Hamburger und hat deshalb ein Start-up gegründet, das pflanzliche Burger produziert. Haben Sie einen solchen Burger schon gegessen?
Ja. Ob der Burger gut ist, ist eine Frage der Würzung. Für mich ist entscheidend, dass Kochen ohne Fleisch geschmackvoll ist. Und das kann es mit oder ohne Fleischersatz sein. Wenn man Fleischersatz kreiert, dann kreist man schliesslich doch nur um das Fleisch. Man glaubt, ohne Fleisch sei eine Mahlzeit nicht komplett, alles andere sei Beilage. Ich empfehle, ab und zu komplett vegetarisch zu essen. Aber ein pflanzlicher Burger ist für das Klima bestimmt verträglicher als einer mit Rindfleisch.

Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online

Unsere Empfehlungen

Die Teuerung trifft die Ärmsten

Die Teuerung trifft die Ärmsten

Die Teuerung der vergangenen Monate trifft insbesondere die weniger gut Verdienenden. Hilfsorganisationen wie das «Tischlein Deck dich» in der Offenen Kirche Elisabethen in Basel verzeichnen eine so hohe Nachfrage, dass Grundnahrungsmittel fehlen. Nun springen eine Stiftung und eine Firma ein.
Ein Prozess mit Signalwirkung (1)

Ein Prozess mit Signalwirkung (1)

Die Anwältin Nina Burri ist Fachperson für Wirtschaft und Menschenrechte beim Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz. Sie verfolgt den Prozess, den bedrohte Fischer gegen Holcim anstreben.
Teuerung trifft die Ärmsten

Teuerung trifft die Ärmsten

Die Teuerung der vergangenen Monate trifft insbesondere die weniger gut Verdienenden. Hilfsorganisationen wie das «Tischlein Deck dich» in der Offenen Kirche Elisabethen in Basel verzeichnen eine so hohe Nachfrage, dass Grundnahrungsmittel fehlen. Nun springen eine Stiftung und eine Firma ein.
Ein Prozess mit Signalwirkung

Ein Prozess mit Signalwirkung

Die Anwältin Nina Burri ist Fachperson für Wirtschaft und Menschenrechte beim Hilfswerk der Evang.-ref. Kirchen Schweiz. Sie verfolgt den Prozess, den bedrohte Fischer gegen Holcim anstreben.