News aus dem Kanton St. Gallen

Eine reformierte Erfolgsgeschichte

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25.11.2021
Das Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz HEKS hilft seit 75 Jahren Benachteiligten und Notleidenden im In- und Ausland. Die Fusion mit «Brot für alle» soll die Wirkung des kirchlichen Engagements stärken.

1946, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Europa liegt in Trümmern. Millionen von Menschen hungern, frieren, sind krank, haben ihr Hab und Gut verloren, suchen nach ihren Familien oder sind auf der Flucht. Es ist die Geburtsstunde des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Schweiz HEKS. Betroffen vom Leid, gründet der Schweizerische Kirchenbund das reformierte Hilfswerk. Die Schweizer Kirchgemeinden sammeln Kleider, Decken, Schuhe, Seifen, Konserven und Kartoffeln – rund 4000 Tonnen. Hinzu kommen noch über zwei Millionen Franken.

Daneben gibt es etwa den «Liebesgaben-Paketdienst»: Private unterstützen notleidende Familien im zerstörten Deutschland und schicken über Jahre Päckli. Die brieflichen Kontakte zwischen den Schweizer Spenderinnen und Spendern und ihren «Patenfamilien» sind mitunter sehr berührend.

Zwischenkirchliche Hilfe
Auch die Kirchen brauchen Unterstützung. «Der Krieg hatte ihre Strukturen in den umliegenden europäischen Ländern wie Deutschland oder Holland zerstört. HEKS half mit Nahrungsmitteln und lieferte Barackenkirchen. Seither ist die zwischenkirchliche Hilfe ein Standbein von uns», sagt HEKS-Direktor Peter Merz. «HEKS und etliche Kirchgemeinden pflegen Beziehungen mit Partnergemeinden in Osteuropa – heute nach Ungarn und Rumänien und seit geraumer Zeit auch im Nahen Osten, etwa in Syrien und im Libanon.» Während des Kalten Krieges bildet der HEKS-Bücherdienst mit seiner theologischen Literatur eine wichtige Brücke in die atheistischen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang.

Weltweite Zusammenarbeit
Heute gehört HEKS zu den bekanntesten und grössten Hilfswerken der Schweiz. Not- und Wiederaufbauhilfe leistet es nach wie vor, aktuell in Bangladesch, Haiti, im Libanon und in Syrien. Bereits 1949 engagiert sich HEKS für Flüchtlinge in der Schweiz und in Europa. Nach dem gescheiterten Volksaufstand flüchten Tausende Ungarn 1956 aus ihrer Heimat. HEKS organisiert die Aufnahme von 2000 protestantischen Flüchtlingen. Anfang der Achtzigerjahre folgen die Boat-People aus Vietnam, später die Tamilen und mit dem Balkankrieg die Schutzsuchenden aus den Ländern Ex-Jugoslawiens. Heute flüchten die Menschen aus afrikanischen Ländern, Syrien oder Afghanistan.

Daneben baut HEKS die internationale Entwicklungszusammenarbeit auf und aus. 1958 entsteht ein erstes Projekt in Indien, eine Lehrwerkstätte für Werkzeugmacher. Es folgen weitere in Asien, Afrika und Lateinamerika. Aktuell betreut HEKS rund 250 Projekte in über 30 Ländern, in vielen davon ist das Hilfswerk mit eigenen Büros präsent.

Sechs Regionalstellen in der Schweiz
Im Inland ist HEKS ebenfalls aktiv. Seine sechs Regionalstellen in der Deutsch- und der Westschweiz bieten Programme und Beratungen zur sozialen Integration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen an. Dies unterscheidet HEKS von Hilfswerken wie Helvetas oder Swissaid. «Viele kennen unsere Auslandarbeit besser als unsere Inlandarbeit», so Peter Merz, «doch von den rund 60 Millionen Franken Programmgeldern gehen je 50 Prozent in die Schweiz und ins Ausland.» Zudem erbringt HEKS Dienstleistungen für Bund und Kantone, etwa die Rechtsberatung für Asylsuchende sowie Dolmetscher oder Sprachkurse für Migrantinnen und Migranten.

Diakonischer Arm der Kirche
Die christlichen Wurzeln und die kirchliche Einbindung zeichnen HEKS als Hilfswerk aus. «Wir sind das Werk der reformierten Kirchen und einer der diakonischen Arme der Evangelischen Kirche Schweiz. ‹Dem Glauben Hand und Fuss geben› heisst der Auftrag, den wir umsetzen», erklärt Peter Merz. «Wir handeln jedoch im Sinne des Evangeliums und der Nächstenliebe, dies ist Teil unserer Vision.»

Zusätzlich zu den kirchlichen Geldern und den Spenden von Privaten, Stiftungen und weiteren Institutionen von Bund und Kantonen erhält HEKS Beiträge von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes DEZA und der Glückskette. «So ermöglicht uns jeder private oder kirchliche Spendenfranken, beispielsweise von der Glückskette bis zu vier weitere Franken über Projekteingaben zu erhalten», betont Peter Merz. Auf die Ausrichtung von HEKS habe dies keinen Einfluss. Angesprochen auf die Forderung von Politikern, dass Hilfswerke, die Steuergelder erhalten, sich nicht politisch engagieren sollen, kontert Merz: «Wir haben für politische Kampagnen nie Bundesgelder eingesetzt. Wir hatten immer genug andere freie Mittel. Doch eine breite Information über Unrechtssituationen ist für HEKS wichtig.»

Engagement gegen die Apartheid
Politische Positionierungen sind für HEKS nichts Neues. Peter Merz: «Wir haben trotz massivem Druck gegen die Apartheid in Südafrika gekämpft und uns zur Asylgesetzrevision, zu Palästina wie auch zum Migrationspakt geäussert, und wir unterstützen die Agenda 2030.» Die politische Arbeit sei wichtig. «Aufklärung über die Situation in den armen Ländern des Südens ist ein bedeutender Aspekt unserer Arbeit.»

Darum ist für Peter Merz die anstehende Fusion mit «Brot für alle» Bfa ein wichtiger Schritt, der zusätzliche Kompetenzen bringe. Nach 75 Jahren beginnt für HEKS am 1. Januar 2022 ein neues Kapitel. Dann beginnen die beiden Hilfswerke offiziell ihre gemeinsame Zukunft. «Die Erkennbarkeit und Relevanz der Programmarbeit von HEKS wird bleiben», sagt Peter Merz. HEKS verfügt gemäss Merz über ein zehnmal grösseres Programmvolumen und zählt zehnmal mehr Mitarbeitende als Bfa. Bfa sei stark in der Umsetzung von Kampagnen. Die Kernkompetenz des HEKS liege bei der konkreten Programm- und Projektarbeit im In- und Ausland.

Politische Mobilisierung
Die Programmarbeit soll mit der Fusion noch stärker mit der politischen Mobilisierung verbunden werden. «Die Herausforderung liegt darin, dass wir die beiden Unternehmenskulturen unter einem Dach zusammenführen, voneinander lernen und die Kompetenzen gewinnbringend einsetzen können», sagt Peter Merz. Das fusionierte Werk konzentriert sich auf vier Schwerpunktthemen: Integration und Inklusion, Migration und Flucht, Zugang und Recht auf Land und Nahrung sowie Klimagerechtigkeit.

Karin Müller, kirchenbote-online

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