News aus dem Kanton St. Gallen

Es fehlt der Pfarrnachwuchs

von Tilmann Zuber, ref.ch
min
04.01.2023
Den Kirchgemeinden werden in Zukunft die Pfarrleute fehlen. Die Landeskirchen wollen Gegensteuer geben. Zur Diskussion stehen einschneidende Massnahmen. Synodalrat Erich Huber kennt die Situation im Kanton Solothurn.

«Wir haben ein gigantisches Problem.» Das sagt Thomas Schaufelberger, Leiter Aus- und Weiterbildung Pfarrschaft, wenn er auf die kommenden Pensionierungen von Pfarrleuten blickt. «Die Zahl steigt in den nächsten Jahren enorm», erläutert Schaufelberger. «Bis 2030 werden 70 Prozent unserer Pfarrpersonen nicht mehr da sein», sagt Schaufelberger. Es sei ein gewaltiges Loch, das es zu stopfen gebe.

Dabei entscheiden sich nur wenige junge Menschen für ein Theologiestudium. Die Anmeldungen verharren seit Jahren auf tiefem Niveau. An den theologischen Fakultäten von Zürich, Basel und Bern haben 2021 insgesamt 45 Personen ein Studium aufgenommen, Quereinsteigende mitgezählt, sind es 52 Studierende. «Wir müssen jetzt dringend zusätzliche Massnahmen an die Hand nehmen», betont Schaufelberger.

Brauchen Pfarrer noch Latein?
Die theologischen Fakultäten und die Landeskirchen haben an einer Fachtagung im November mögliche Lösungsansätze aufgezeigt. «In einem konstruktiven Dialog wurden konkrete strategische Massnahmen diskutiert – ohne Tabus», sagt Schaufelberger. Zur Debatte stehen verschiedene Modelle: Um die Pfarrausbildung attraktiver zu machen, sollen Studierende die Möglichkeit haben, bereits mit einem Bachelor in den pastoralen Dienst einzusteigen. Der Master soll berufsbegleitend absolviert werden können. Dabei müsste geklärt werden, ob neue Berufsfelder im Pfarramt entstehen und ob etwa Latein noch obligatorisch bleibt.

Prekäre Situation
Pfarrer Erich Huber hat an der Fachtagung teilgenommen. Der Synodalrat der Reformierten Kirche Kanton Solothurn ist für den Pfarrnachwuchs im Kanton zuständig. Man stehe mitten in der Diskussion, erklärt Huber. Das Thema sei Schwerpunkt am nächsten Treffen des Synodalrats mit der Pfarrschaft und den Sozialdiakonen. Dem Synodalrat sei es wichtig, die Diskussion um die Pfarrausbildung und das künftige Bild des Gemeindepfarramts anzustossen. Wie die Pfarrschaft zur neuen Entwicklung steht, sei offen. Erich Huber kennt die prekäre Situation in der Solothurner Kirche. Die hiesigen Kirchgemeinden kämpften immer wieder mit dem Pfarrmangel, sie konnten jedoch ihre freien Stellen mit dem Zuzug aus Deutschland besetzen. Der Zustrom sei heute weitgehend versiegt, weil die Evangelische Kirche Deutschland keinen Pfarrüberschuss mehr habe.

Hinzu komme, dass es heute vermehrt Frauen im Pfarramt gibt, die Teilzeitstellen vorziehen. «Um eine Pfarrstelle besetzen zu können, braucht es zurzeit 1,4 Personen.» Problematisch sei auch der Trend weg vom Gemeindepfarramt, hin zu Stabsstellen oder zu Spezialpfarrämtern. Für Erich Huber ist das Pfarramt in einer Gemeinde nach wie vor ein attraktiver und schöner Beruf, aber anforderungsreich. «Aber offenbar sieht dies die jüngere Generation anders.»

Gegen verstaubtes Image
Die Kirchen unternehmen inzwischen viel, um für das Theologiestudium zu werben. Mit Hilfe von Theotrail, digitalen Stadtführungen, einem Campus im Kloster Kappel oder der Theologischen Fakultät Basel und anderen Angeboten versuchen sie Jugendliche anzusprechen. Mit modernen, attraktiven Testimonials von jungen Theologiestudierenden kämpfen sie gegen das verstaubte Image der Kirche. «Nur», so Erich Huber, «was nützen all diese Anstrengungen, wenn die Studierenden nachher nicht ins Gemeindepfarramt gehen?»

Von der neu geschaffenen Möglichkeit, als Quereinsteiger ins Theologiestudium einzusteigen, hält Huber viel. «Das bringt der Kirche gute und motivierte Leute.» Gerade hat Stefan Wagner die Pfarrstelle in Niederamt angetreten. Ursprünglich hatte er Betriebswirtschaft an der Hochschule St. Gallen studiert. Mit 33 Jahren beschloss er, Theologie an der Universität Bern zu studieren. Und zurzeit absolviert Thierry Wey in Olten sein Vikariat. Auch er findet seinen Weg zum Pfarrer über Quest.

Ob diese Massnahmen gegen den Pfarrmangel reichen, ist fraglich. So werden pensionierte Pfarrer und Pfarrerinnen wie Erich Huber weiterhin ihren Dienst tun. Zurzeit schwingt sich der 72-Jährige auf sein Velo, um als Pfarrverweser in Gäu und Wangen die Leute zu besuchen.

 

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