News aus dem Kanton St. Gallen

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23.01.2023
Ich höre noch immer das durchdringende Pfeifen, das die Predigt des Pfarrers beinahe übertönte. Sichtlich verlegen gelang es dem älteren Mann nach einiger Zeit, den kleinen Schalter an seinem Hörgerät zu betätigen, damit Ruhe einkehrte.

Weitere Erinnerungen tauchen auf. Da war die betagte Nachbarin, die seit ihrer Kindheit sehr schlecht hörte. Unsere Eltern ermahnten uns, mit ihr langsam, deutlich und laut zu sprechen. Trotzdem spürte ich, dass sie meistens nicht verstand, was ich sagte. Und ich denke an den humorvollen, lebensfreudigen und hellwachen Senior, der sich an Gesprächen in unserem Familienkreis stets lebhaft beteiligte, gerne lachte und mit Komplimenten nicht geizte. Plötzlich wurde er in geselliger Runde immer stiller, ernster und schaute missmutig drein. Wir machten uns Sorgen, befürchteten, es könnten Anzeichen von Demenz oder Depressionen sein. Seine Frau ermutigte ihn, das Gehör prüfen zu lassen. Er benötigte dringend Hörgeräte. Dank diesen wurde er wieder der charmante, wache Mann mit den schelmisch funkelnden Augen. Und ich erinnere mich an zahlreiche Menschen, denen ich im Laufe der Jahre begegnet bin. Menschen, die sich immer mehr zurückgezogen haben, sich nicht trauten nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden, Veranstaltungen mieden und langsam vereinsamten, weil sie ihre Schwerhörigkeit einfach hingenommen haben.

Die Welt wird still

Vor einiger Zeit holte es auch mich ein. Im Fernsehen sprachen plötzlich alle leise und undeutlich. Auch eine Zusatzbox und das Erhöhen der Lautstärke halfen nicht. Dafür beklagten sich die Familienmitglieder über den unnötigen Lärm. Die Grosskinder redeten auf einmal leise und undeutlich. Auch wenn ich mich bemühte, mit ihnen auf Augenhöhe zu sprechen, musste ich ständig nachfragen. Und ich ertappte mich dabei, dass ich vermehrt tat, als hätte ich etwas verstanden, obwohl ich kaum wusste, worüber gesprochen wurde. Dafür erstaunte es mich, dass ich den Autolärm in unserer neuen Wohnung kaum hörte. Erst später gestanden mir unsere Kinder, dass sie mein abwesender Blick oft irritiert hatte.

«Das Verdrängen der eigenen Schwerhörigkeit kann weitreichende Folgen haben.»

Risikofaktor Demenz und Einsamkeit

Und dann las ich folgenden Text: «Das Verdrängen der eigenen Schwerhörigkeit kann weitreichende Folgen haben: Das Gehirn gewöhnt sich an das geringere Hörvermögen, dadurch wird der Hörverlust beschleunigt. Der Mangel an akustischen Reizen und der soziale Rückzug können zudem zu einem Abbau der intellektuellen Leistungsfähigkeit führen. Experten bezeichnen eine nicht versorgte Altersschwerhörigkeit sogar als einen der Hauptrisikofaktoren für Altersdemenz und Altersdepression. Es ist also wichtig, eine Schwerhörigkeit früh zu erkennen und gegenzusteuern.»

Eine neue Lebensqualität

Das gab endgültigen den Ausschlag, zu handeln. Abklärungen im Hörcenter und beim Arzt ergaben ein klares Resultat. Mein Hörverlust war beträchtlich und die Chancen, dies zu verbessern gut. Ich suchte einen Akustiker, bei dem ich mich wohl fühlte und nutzte die Möglichkeit, verschiedene Systeme und Geräte unverbindlich zu probieren. Nach etwas Eingewöhnungszeit freundete ich mich mit diesen kleinen, technisch ausgereiften Hilfsmitteln an. Erst jetzt merkte ich, wie gross die Einschränkungen tatsächlich waren. Ohne die kleinen Geräte habe ich nun das Gefühl, alles durch ein dickes Wattekissen zu hören. Welch ein Genuss, diesen Sommer den Gesang der Vögel wieder gehört zu haben. Und was für eine Freude, Gesprächen auch in grosser Runde folgen zu können, Kinderstimmen zu verstehen, nicht immer nachfragen zu müssen. Ich kann meine Hörhilfen jederzeit am Smartphone genau auf meine Bedürfnisse einstellen, ohne dass es jemandem auffällt und nachts werden sie ins Ladegerät gesteckt. Und wenn es irgendwo zu lärmig ist, stelle ich ab und zu einfach die Lautstärke zurück. Ein kleiner Vorteil gegenüber all jenen, die gut hören!

Judith Husistein