News aus dem Kanton St. Gallen

Austausch auf Augenhöhe

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21.02.2023
Das Sahelland Niger leidet unter Dürren. Die HEKS-Partnerorganisation «SahelBio» unterstützt rund hundert Dörfer, den Anbau von Grundnahrungsmitteln wie Hirse und Bohnen zu verbessern.

Wir befinden uns im Departement Mayahi in der Region Maradi des Sahellandes Niger. Es herrscht eine Durchschnittstemperatur von rund 28 Grad bei einer Niederschlagsmenge von jährlich rund 240 mm (zum Vergleich St. Gallen: 7,4 Grad und ca. 1470 mm). Es ist heiss und trocken. In den letzten Jahren ist es noch heisser geworden, der Regen fällt noch unregelmässiger. Faktoren, welche die Lage lokaler Kleinbauernfamilien weiter verschlechtern. Glücklicherweise gibt es aus dem universitären Bereich Ideen und Konzepte, was zu tun wäre. Doch wie kommt dieses Wissen zu den Bäuerinnen und Bauern? Wie kann es angewendet werden? Eine kleine Organisation in Niger zeigt, wie universitäres Wissen über nachhaltige Landwirtschaft und Agrarökologie den Weg aufs Feld findet und zurück.

Lokale Lösungen
Wir sind zu Besuch bei der Organisation «SahelBio», gegründet vom Insektenforscher Ibrahim Baoua. Nach dem Studium in Kanada wurde ihm klar, dass er mit seinem Wissen mehr als «nur» den akademischen Bereich ansprechen musste, um Wirkung zu erzielen. Konkret: Universitäre Erkenntnisse müssen den Weg zu den einfachen Bauern finden. Deren Erfahrungen müssen zurück an die Universitäten gelangen. Und: Lösungen müssen lokale Gegebenheiten berücksichtigen und mit lokalen Mitteln umsetzbar sein.

 

Ibrahim Baoua entwickelte eine Methode, die es erlaubt, die Hirsekopf-Bergmannmotte durch eine Schlupfwespen-Art zu bekämpfen.

 

Grundsätze, die in der modernen Agrarökologie von Bedeutung sind. Baouas Erkenntnisse waren die Keimzelle von «SahelBio». Eindrücklich sieht man den Erfolg der Organisation im Dorf Sora. Zur Begrüssung hat sich das Dorf versammelt. Die Bewohner empfangen uns aber nicht traditionell im Kreis sitzend, sondern an Tischen stehend und in weissen Kitteln. Das ist passend, denn die Dorfbewohnerinnen sind Feldforscher. Sie sind beteiligt an einer Zusammenarbeit, die als «co-crea-tion» bezeichnet wird: das gemeinsame und gleichberechtigte Erarbeiten von Wissen und Erkenntnissen durch Akademiker und Bäuerinnen.

Feldversuch Sora
In Sora begann der Aufschwung wie in anderen Gemeinden: Vertreter von «SahelBio» kamen ins Dorf, um mit den Menschen über ihre Probleme zu sprechen. Die Lage war dramatisch, denn die Erträge aus den Haupt­kulturen Hirse und Augenbohnen waren weiter zurückgegangen. Der nächste Schritt von «SahelBio» war, mit den Dorfbewohnern die Ursachen zu verstehen. Bald zeigte sich, dass drei Faktoren ausschlaggebend waren: Zunehmender Schädlingsbefall, abnehmende Bodenfruchtbarkeit sowie eine kürzere Regenzeit. Auf der Basis der agrarökologischen Überzeugung, Lösungen mit lokalen Mitteln anzustreben, waren Strategien schnell entwickelt. Priorität hatte die Verbesserung des Saatgutes. Ziel war eine kürzere Vegetationszeit, damit die Kulturen weniger unter dem veränderten Klima leiden, sowie eine verbesserte Resistenz gegen das Purpurhexenkraut, das den Hirse- und Bohnenpflanzen Wasser und Nährstoffe entzieht.

Nebst dem Purpurhexenkraut bereiten auch Insektenschädlinge wie etwa die Hirsekopf-Bergmannmotte Sorgen. Deren Larven können ganze Hirsefelder vernichten. Hier brachte Ibrahim Baoua sein Fachwissen als Insektenforscher gezielt ein. Er entwickelte eine Methode, die es erlaubt, die Motte durch eine Schlupfwespen-Art zu bekämpfen. Zudem wird ein biologisches Insektizid aus den Blättern des Neem-Baumes eingesetzt. Zur Verbesserung des Bodens werden Kompost sowie ein Dünger auf der Basis von aktiven Mikroorganismen verwendet. 

Von der Forschung aufs Feld
Viele dieser Methoden werden direkt aus der universitären Forschung in die Praxis übertragen. Und: Die Kommunikation ist nicht eindimensional. Die von den Bäuerinnen und Bauern gemachten Erkenntnisse und Erfahrungen auf den Feldern gelangen zurück an die Universität und befruchten dort die Forschung – ein Austausch auf Augenhöhe. 

In Sora sprechen wir mit Mohamed Souleyman, dem Dorfvorsteher. Er ist einer von zwanzig Produzenten, die an den Feldversuchen beteiligt sind. Mit Begeisterung erzählt er von seinen Erfolgen. Seine Erträge aus Hirse, Bohnen und Erdnüssen sind deutlich besser geworden, obwohl der Regen oft ausblieb. Der Weg zum Erfolg: Einerseits säte Souleyman mehrere Sorten gleichzeitig, andererseits arbeitete er erstmals mit sogenannten Pflanz­löchern (Zaï), einem einfachen System, das bei Trockenheit ausgesprochen hilfreich ist. Stolz zeigt er uns sein Feld, auf dem noch etwas anderes auffällt: Hirse und Bohnen sind in Mischkultur gepflanzt. Das trägt dazu bei, die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern und die Erträge zu steigern. Souleyman erzählt auch von «seinem» Saatgut, das er nun selbst vermehrt. Man merkt dem Dorfvorsteher an, wie stolz er ist, gemeinsam mit den Forscherinnen der Universität einen Beitrag zu besseren Erträgen in seinem Dorf zu leisten.

Text: Malte Reshöft, HEKS | Foto: Ollivier Girard – Kirchenbote SG, März 2023

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