News aus dem Kanton St. Gallen

Psychisch krank – was tut gut?

min
25.02.2016
MÜNSTERLINGEN TG. Psychische Krankheiten wiegen schwer, sowohl für die Betroffenen als auch für ihr Umfeld. Wie soll man mit psychisch Kranken reden, die nicht reden wollen?

Von Tobias Arni

Paul H. liegt im Spital. Er hat sich beim Skifahren das linke Bein gebrochen. Seine Kolleginnen und Kollegen besuchen ihn, reden mit ihm, machen Witze und zum Schluss schreibt jeder seinen Namen mit dem Filzstift auf den Gips. „Das hat gut getan!“, denkt Paul, nachdem der Besuch wieder gegangen ist.  

Petra S. sitzt in einem Zimmer der psychiatrischen Klinik. Sie wird nicht besucht. Das stimmt nicht ganz. Gestern war eine Arbeitskollegin bei ihr. Sie kann nicht verstehen, warum Petra seit Wochen so niedergedrückt und seit zwei Wochen in der Klinik ist. „Freu‘ dich doch an der Sonne“, sagt sie. „Hörst du, wie fröhlich die Vögel am blauen Himmel zwitschern?!“ Petra hört und sieht das nicht. Sie kann keine Freude fühlen. Sie hat eine schwere Depression. Sie denkt: „Was bin ich nur für ein Mensch, dass ich mich nicht an der Sonne und den Vögeln in der Luft freuen kann?“ Der Besuch ist kurz. Was soll man mit jemandem reden, der nicht reden will? 

Gerade psychische Krankheiten wiegen schwer. Sie sind schwierig für die Betroffenen, aber auch schwierig für das Umfeld. Ist nicht ein an einer Alkoholsucht erkrankter selber schuld an seiner Krankheit? Er müsste doch einfach Nein sagen, wenn ihm jemand Alkohol anbietet? Könnte sich ein an einer Depression erkrankter Mensch nicht ein bisschen anstrengen, um die Welt wieder bunter zu sehen, als alles nur schwarz und freudlos? Kann denn der Psychotiker nicht selber einfach die Stimmen in seinem Kopf abschalten, die ihn fernsteuern wollen? Fragen, die sich nicht nur Angehörige und Freunde stellen, sondern die Betroffenen sich selber auch. Fragen, die aber überhaupt nichts zur Heilung beitragen. Im Gegenteil. 

Darum ist auch die Frage „Wie geht es dir?“ keine kreative Frage. Sie lenkt auf das Defizit, das Krankheit mit sich bringt. Kreativ wäre bei einem Besuch zu fragen: „Was tut dir jetzt gut?“ Und als Kranker oder als Kranke kann ich mir die Frage selber stellen: „Was tut mir jetzt gut?“ Eine Antwort zu finden, ist nicht immer einfach. Aber sie bringt uns dazu nicht beim Krankheitsdefizit stehen zu bleiben, sondern heilende Wege in der Krankheit zu suchen. Die Chance dabei wieder gesund zu werden wird dadurch erhöht. 

Und? Was tut Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, denn heute gut? Beten, singen, Freunde treffen, mit jemandem telefonieren, basteln, einen heissen Tee trinken, Tulpen und Osterglocken kaufen, schreiben, spazieren, Sport treiben, lachen, baden, eine Kerze anzünden, jemanden besuchen, lesen? Dann tun Sie es!  

Unsere Empfehlungen

Menschlich und rentabel wirtschaften

Menschlich und rentabel wirtschaften

Unternehmerischer Erfolg mit sozialen Werten strahlt in die Wirtschaft und die Gesellschaft aus: Referierende aus verschiedenen Branchen beleuchteten am sechsten Forum christlicher Führungskräfte die Bedeutung sozialen Unternehmertums – darunter die Theologin Christina Aus der Au.
Mode macht Menschenwürde möglich

Mode macht Menschenwürde möglich

Von einer unfreiwilligen Sexarbeiterin zur selbstbestimmten Näherin: Drei junge Frauen aus dem Thurgau und Süddeutschland ermöglichen einigen Frauen aus Indien ein besseres Leben. Und das mit ihrem Kreuzlinger Modelabel «Dignity Fashion».
Ohne Treue kein Wunder

Ohne Treue kein Wunder

Am 9. November vor 30 Jahren fiel die Berliner Mauer, was kaum einer für möglich gehalten hatte. Thurgauer pflegten schon damals Kontakte in den Osten oder lebten gar dort. Sie erinnern sich.