News aus dem Kanton St. Gallen

«Wir hätten es in der Hand gehabt, diese Renditejagd nicht zu unterstützen»

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27.03.2023
Nach dem Untergang der Credit Suisse müssten auch die Kantonalkirchen überdenken, wie sie ihr Vermögen anlegen, sagt Christina Aus der Au. Sie sass über 10 Jahre im Verwaltungsrat der Alternativen Bank Schweiz (ABS).

Die Credit Suisse ist gerettet. Alles wieder gut, zurück zum «Courant Normal»? Wie geht es Ihnen dabei?

Die CS ist nicht gerettet, sie wurde gedrängt, sich schlucken zu lassen. Und jetzt kocht der Volkszorn über die bösen Banker, die nur an sich dachten, à la «die kassieren Boni und jetzt müssen es die Sparerinnen und Steuerzahler ausbügeln». Ich habe versucht, auch die andere Seite zu sehen: Die CS war ja solide finanziert, sie stand nicht vor dem Abgrund. Das Problem war nicht die Raffgier, sondern das verlorene Vertrauen; die Kunden zogen massenweise das Geld ab. Letztlich war es die Psychologie, welche ein derart zahlenorientiertes Geschäft wie das Bankwesen zu Fall brachte. Das finde ich spannend. Journalistenmeldungen, Aussagen der saudi-arabischen Investoren, schlechte Krisenkommunikation brachten den Stein ins Rollen. Vertrauen ist eine wacklige Sache.

 

Vertrauen gilt als die Hartwährung im Banking. Nun scheint das Vertrauen in die Schweizer Banken futsch. Und damit auch das internationale Vertrauen in den Schweizer Finanzplatz, den Schweizer Franken ...

... ja, und auch das Vertrauen in die Schweizer Politik. Es ist ja schon heftig, wie schnell der Bund das Notrecht aus der Schublade gezogen hat. Weder die Aktionäre der CS noch die der UBS hatten irgendetwas zu sagen. Als Staatsbürgerin einer Direkten Demokratie würde ich meinen: nicht gerade die feine englische Art. Aber vielleicht war die Wahl, per Notrecht einen Bankenkoloss zu schaffen, tatsächlich die Wahl des kleineren Übels, wenn die Alternative ein Kollaps des gesamten Systems gewesen wäre.

 

Liest man die ausländischen Zeitungen, scheint das Bild der soliden Schweiz international enorm gelitten zu haben.

Ja, sowohl in Bezug auf das Vertrauen in die politischen Institutionen als auch in den Wirtschaftsstandort. Beide Felder befinden sich im Ausnahmezustand.

 

Wer trägt die Verantwortung für den Vertrauensverlust?

Viele. Nicht nur die Banker selber, sondern auch die Anlegerschaft, die eine möglichst hohe Rendite wollte und mit dem Abzug von Geldern drohte, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden. Irgendwie jeder, der nur an sich selber dachte – und das tun letztlich fast alle, wenn es um ihr Geld geht. Das Wechselspiel von Ansprüchen, Druck, eingegangenen Risiken schaukelte sich hoch.

 

Sie giessen also Wasser auf die Mühlen der Banker, die sagen: Wir können nichts dafür, wir haben nur das gemacht, was unsere Kunden wollten. Und um möglichst hohe Renditen zu erzielen, mussten wir hohe Risiken eingehen.

Halt, dazu muss man einfach sagen: Sie haben ihre Arbeit nicht gut gemacht! Der primäre Job der Banker besteht darin, das Vertrauen der Kundschaft in sie zu rechtfertigen. Und das haben sie offensichtlich nicht geschafft. Die Krisenkommunikation des Managements war eine Katastrophe.

 

Sie sagen, das Vertrauen ist die eigentlich wertvolle Dienstleistung am Kunden im Banking?

Ja, bei der ABS zum Beispiel war es immer ein grosses Anliegen, den Anlage- und Kreditkunden zu beweisen, dass wir eine ethische Bank sind. Dass wir eben nicht alle Geschäfte machen, dass wir unser Geschäft kennen und durchdenken. Dass wir ökologisch und sozial verantwortlich handeln, aber eben auch ökonomisch verantwortungsbewusst mit dem Geld der Kundschaft umgehen. Wir waren die Ersten, die Negativzinsen eingeführt haben, weil wir sonst Verluste geschrieben hätten. Die ABS-Kundschaft hat das verstanden. Es war ihr lieber, als wenn wir irgendwelche versteckten Gebühren erhoben hätten. Transparenz gehört mit zur Verantwortung und fördert das Vertrauen.

 

Ist das die Lösung? Das Bankenbusiness muss sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren; die verantwortungsvolle, treuhänderische Verwaltung von Kundengeldern.

Das ist natürlich eine etwas romantische Vorstellung. Diesen Nimbus tragen ja die kleinen Regionalbanken oder die Raiffeisenbanken gern vor sich her. Aber letztlich ist es eben schon viel zu verlockend, mit Geld viel Geld zu machen. Aber natürlich bieten die Banken dasjenige an, was die Kunden wünschen, und so wird die Spekulation an der Realwirtschaft vorbei bleiben.

 

«Ich bin Theologin. Ich gehe davon aus, dass die Menschen grundsätzlich egoistisch und gierig sind.»

 

Christina Aus der Au, Dozentin für Religion und Ethik

 

Wo sehen Sie dann Lösungsansätze? Man hat den Eindruck, dass sich seit der Lehman-Pleite 2008 und der darauffolgenden Finanzkrise rein gar nichts geändert hat. Was wir heute besprechen, war alles schon damals Thema. Schon 2009 gab es eine Initiative für Faires Banking ...

Ich bin Theologin. Ich gehe davon aus, dass die Menschen grundsätzlich egoistisch und gierig sind ...

 

... nicht, dass sie im Grunde gut sind?

Nein, das ist überhaupt nicht der Kern meines Glaubens, das ist ein romantischer Naturzustand. Ich weiss, dass ich nicht selbstlos bin – das Konzept der Erbsünde oder auch dass wir erst einmal an uns selbst denken, wie Luther es schilderte, finde ich einleuchtend.

 

Und was bedeutet das nun konkret?

Wir haben nur zwei Möglichkeiten: Die Kontrollmechanismen, die es ja gibt und die gerade im Gefolge der Finanzkrise massiv ausgebaut wurden, konsequent anwenden und weiter verbessern, oder in Kauf nehmen, dass es alle zehn, zwanzig Jahre knallt, weil sich das System an die Wand gefahren hat. Ich sehe nicht, was man sonst machen könnte.

 

Und als Anleger?

Nur noch in Dinge investieren, die man versteht. Nur noch Gelder anlegen, auf die man zehn Jahre verzichten kann. Die Kundinnen und Kunden der ABS sind nicht diejenigen, die der Rendite hinterherjagen. Sondern sie sind aus ethischen Gründen bei uns und legen langfristig an. Darum war die ABS vom allgemeinen «Rattenrennen» verschont.

Es wird aber immer Menschen geben, welche die Aussicht auf höhere Gewinne dazu verlockt, spekulative Produkte zu kaufen.

 

 «Aber dieses Dämonisieren und die Suche nach Schuldigen bringt uns nicht weiter.»

 

Christina Aus der Au, ex-Verwaltungsrätin der ABS

 

Da sind wir wieder beim Hauptproblem: Um astronomische Gewinne zu erzielen, muss man extrem hohe Risiken eingehen. Schon bei der Bankenkrise 2008 stellten einige Beobachter bei den verantwortlichen Bankern eine Art Videospielmentalität fest: Wenn's schiefläuft, drückt man nach dem «Game Over» einfach den «Restart»-Button. Ist das nicht der Fehler im System, dass die systemrelevanten Banken, die Risiken für die Gier (nach Boni und steigenden Aktienrenditen) einfach an die Gesellschaft weitergeben können?

Ich will nicht die Banker verteidigen. Dass es diese Kultur von Risiko und Gier und auch Spielfreude oder -sucht gibt, ist unumstritten. Aber dieses Dämonisieren und die Suche nach Schuldigen bringt uns nicht weiter. Ganz ohne Risiko geht es ja auch nicht. Oder wollen wir augenblicklich allen Startups die Finanzierung verweigern, weil wir nicht wissen, ob ihr Geschäftsmodell funktionieren wird?

 

Früher war die Zuverlässigkeit der Schweizer Banken jedenfalls eine «Heilige Kuh», und jetzt spricht alles nur noch vom Tanz der Banker um das goldene Kalb Gewinne.

Ich erinnere daran, dass die ABS vor 35 Jahren gegründet wurde, als die Schweizer Grossbanken als Blockadebrecher mit dem Apartheid-Regime Geschäfte machten. In der Folge gab es immer wieder Skandale um Potentatengelder, Geldwäscherei und Insidergeschäfte – das Vertrauen in die Schweizer Grossbanken ist schon lange durchlöchert.

 

Natürlich kann man sagen, die jüngsten Entwicklungen haben den Bankenkritikern Recht gegeben. Aber jetzt ist wohl nicht der richtige Zeitpunkt für niedere Motive wie Häme oder Schadenfreude. Viele CS-Mitarbeitende haben einen guten Job gemacht und sich für eine gute Sache engagiert; Banken als Finanzierungsquelle haben ja eine wichtige Funktion für eine Wirtschaft.

Und trotzdem fand ich als Kirchenrätin: Wir sollten uns schon überlegen, welche Bank zu uns passt und ob wir die Geschäftsmentalität unterstützen wollen. Da hatte ich bei der CS nach all den Skandalen schon früher meine Zweifel. Eine Kirche, die ihre Gelder anzulegen und zu verwalten hat, muss auch sagen können: «Diese Bank passt nicht zu uns».

 

Auf alle Fälle scheint sich das Misstrauen in der Gesellschaft nicht auf die Grossbanken zu beschränken. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht ja von einer grundsätzlichen Vertrauenskrise, die sich auch auf die Politik, das Wirtschaftssystem oder die Kirche bezieht. Wie kann das verlorene Vertrauen wieder hergestellt werden?

Ich glaube, das ist Knochenarbeit. Das lässt sich nicht von oben verordnen. Dafür braucht es Beziehungsarbeit. Wer Vertrauen gewinnen will, muss authentisch und klar und mit Leib und Seele zum Ausdruck bringen, wofür sie oder er einsteht. Man muss sich anfassbar machen. Auch als Kirche: Es braucht das Zwischenmenschliche, das Kennenlernen, die Gespräche, gemeinsames Essen und Trinken. Vertrauen aufzubauen ist mühsam, Vertrauen verlieren geht leicht. Man darf nichts schönreden, die Menschen nicht für dumm verkaufen.

 

Ist die CS ein Anschauungsbeispiel, ein gutes Lehrstück? Nicht zukunftstaugliche Geschäftsmodelle, die auf Gier gebaut sind, werden untergehen?

Was mich einfach irritiert ist der plötzliche, grosse moralische Aufschrei der Politik. Alle wissen, was schief lief und wer die Schuldigen sind. Mir fehlt das Gespür dafür, dass wir alle ja auch wollten, dass unsere Finanzanlagen möglichst gut rentieren. Es hätte auch schon früher Anlagealternativen gegeben. Jetzt empört zu schreien finde ich billig. Die eigentliche Erkenntnis müsste jetzt doch viel eher sein: Wir hätten es in der Hand gehabt, diese Art der Renditejagd nicht zu unterstützen. Und wer von uns hat das gemacht?

 

Und was heisst das mit Blick in die Zukunft?

Die grossen Kantonalkirchen müssten sich spätestens jetzt Gedanken machen, wo und wie sie ihre Finanzen anlegen. Nicht aus der Angst vor Verlusten, sondern aus dem Bestreben heraus, mit ihrem vielen Geld zu einer besseren Welt beizutragen.

 

Interview: Christian Kaiser, reformiert. Zürich

 

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