News aus dem Kanton St. Gallen

Heilungswege

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30.03.2023
Im Appenzellerland gibt es im Gesundheitswesen eine starke alternative Tradition. Mit Alfred Vogel (1902 bis 1996) besteht eine Vertretung, die nicht nur im Kanton sondern über die Landesgrenzen hinaus im Bereich der Naturheilkunde Anerkennung gefunden hat.

Die Auseinandersetzung zwischen wissenschaftlicher Medizin und alternativen Methoden hat in den letzten fünfzig Jahren eine starke Veränderung erfahren. Rationale eher technokratische Ansätze in der sogenannten Schulmedizin sind mehr und mehr der Erkenntnis gewichen, dass Gesundheit nicht einfach auf dem Funktionieren des Körpers beruht, welchen man im Krankheitsfall mit den entsprechenden Medikamenten und Eingriffen repariert. Gesundheit beginnt viel früher und meint viel mehr als funktionieren, das ist heute kaum mehr bestritten. Mich interessierte, was Claudia Kempter zur Entwicklung sagt, sie ist seit Jahren im Bereich der Homöopathie unterwegs.

Was hat Sie bewogen, im Bereich der Komplementärmedizin aktiv zu werden?

Ich arbeitete als Drogistin und kannte von daher schon viele verschiedene Produkte aus der Naturheilkunde. Ich wollte mehr darüber wissen und suchte Wege und Methoden, wie Krankheiten geheilt oder gelindert werden können. In der klassischen Homöopathie fand ich für mich die optimale Methode.

Welches sind deine Erfahrungen in deiner Arbeit als Homöopathin?

Es gibt für jeden Einzelnen das zu ihm passende homöopathische Mittel oder die entsprechende energetische Behandlung. Nicht der Krankheitsname ist ausschlaggebend, sondern der Mensch als ganzheitliches Wesen.

Nehmen wir z.B. Kopfschmerzen. Bei 10 Personen benötigt unter Umständen jeder von ihnen ein anderes homöopathisches Arzneimittel. Wichtig für die Auswahl ist: a) Wie äussern sich die Schmerzen? b) Die Modalitäten – was verschlimmert oder verbessert die Schmerzen? c) Was löst die Schmerzen überhaupt aus?

Anhand dieser und anderer Symptome suche ich dann das passendste Mittel heraus.

Bei der Homöopathie hört man oft, dass ich die Leiden zuerst verstärken, bevor die Linderung eintritt. Stimmt das?

Samuel Hahnemann** schreibt: «Wähle, um sanft, schnell, gewiss und dauerhaft zu heilen in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden für sich erregen kann, als sie es heilen soll.» Das ist auch meine Erfahrung. Erstverschlimmerungen sind Heilreaktionen.

Ist das bei allen Altersgruppen so?

Die klassische Homöopathie ist eine ganzheitliche Therapie, sie wirkt auf Körper, Geist und Seele. Und das tut sie bei Säuglingen, Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und bei älteren Personen in gleicher Weise. Das ist eine zentrale Erfahrung aus meiner Tätigkeit.

Und wie sieht das bei Notfällen aus, wo rasch reagiert werden muss?

Es besteht eine jahrelange Erfahrung mit Akutmitteln, die erfolgreich eingesetzt werden. Notfälle wie beispielsweise Pseudokrupp, Hirnerschütterungen, Verbrennungen und weitere Bereiche.

Im Rahmen von chronischen Erkrankungen, bspw. Migräne oder Heuschnupfen etc., wird ein individuell auf die Person passendes Konstitutionsmittel gesucht. Einsatzfelder sind: Erkrankung der Atemwege, Heuschnupfen, Hauterkrankungen, Kopfschmerzen und Migräne, Menstruationsbeschwerden, Angst- und Schlafstörungen, Burnout und viele Bereiche mehr.

Der Bereich der Komplementärmedizin ist ja gross. Gibt es da sinnvolle Ergänzungen?

Ja, das gibt es. Die Möglichkeiten an Therapien sind enorm vielfältig und können sich wunderbar ergänzen. Sie können sich jedoch auch gegenseitig stören. Es ist wie bei den Medikamenten, nicht alles passt zusammen. Auch hier schaue ich mir immer den ganzen Menschen und seine individuellen Beschwerden an. Erst dann gebe ich Empfehlungen ab oder verordne konkrete Massnahmen zur Unterstützung.

Kann man Schulmedizin und Alternativmedizin gegeneinander ausspielen?

Jede Medizinrichtung hat ihre Berechtigung. Ich spreche lieber von «Komplementärmedizin». Die Entscheidung für die Inanspruchnahme der Behandlung liegt natürlich beim Patienten. Viele möchten heute beides kombinieren und profitieren dementsprechend. Im Zentrum steht das wohl der Patienten

Wo ist aus Ihrer Sicht die Schulmedizin sinnvoll?

Das lässt sich nicht einfach so beantworten. Sicher ist die Schulmedizin in Akutsituationen sehr gut. Es gibt jedoch noch mehr Bereiche, wo die schulmedizinischen Behandlungen sinnvolle Wirkung entfalten.

Ist für Sie ein kooperatives Vorgehen vorstellbar?

Es ist bereits so, dass viele meiner Patienten diese Art der Behandlung anwenden und begrüssen. Zudem arbeiten heute viele Schulmediziner auch mit Komplementärmethoden, hier hat sich einiges verändert.

Gibt es da Beispiele?

Beispielsweise in den Geburtenabteilungen einiger Ostschweizer Spitäler und im Geburtshaus St. Gallen werden die Frauen auf die Möglichkeiten aufmerksam gemacht. Ein anderes Beispiel kenne ich aus dem Ärztezentrum Rotkreuz in Zug. Dort arbeiten Arzte und Therapeuten aus verschiedenen Gebieten für ganzheitliche Behandlungskonzepte zusammen. Für mich ist das ein zukunftsweisendes Modell. In einem Bericht, welchend das SRF 2022 ausgestrahlt hat, wird sogar in gewissen Fällen anstelle der üblichen Narkose die Hypnose angewendet.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Grenzen der Komplementärmedizin?

Die Grenzen liegen eindeutig dort, wo der Patient, die Patientin in Gefahr ist. Hier muss ich die Grenzen meiner Vorgehensweise und der damit verbundenen Abklärungen und Untersuchungen anerkennen und dann an entsprechende Fachkräfte weiterverweisen.

Wie überzeugen Sie Menschen, die der Komplementärmedizin skeptisch gegenüberstehen?

Man kann natürlich immer eine kritische Haltung gegenüber gewisen Therapien haben. Ich will da niemanden überzeugen. Jede Person muss selber wissen, auf was sie sich einlässt und auf was nicht. Ich gebe gerne Auskunft über meine Arbeit. Oft kommen Menschen zu mir aufgrund einer Empfehlung. Hier geht es dann darum einen Einstieg zu finden, wo Vertrauen entstehen kann. Positive Erfahrungen sind immer am überzeugendsten.

Was heisst «krank sein» aus Ihrer Erfahrung – umgekehrt, «gesund sein»?

Die Lebensenergie bewirkt das harmonische Zusammenwirken von Körper (Organe) und Geist. Diese Energie schützt uns vor Krankheit und verleiht uns Immunität. «Krank sein» äussert sich durch Alarmsignale, also Symptome. Diese Symptome zeigen, dass es da Unterstützung, Stärkung braucht. Symptome sind von daher grundsätzlich positiv. Die homöopatische Behandlung regt die Lebensenergie an, sich selbst zu heilen und gesund zu werden.

Wo liegen aus dIhrer Sichtweise gesundheitsgefährdende Mängel in der heutigen Lebensweise?

Das ist eine vielschichtige Frage. Ich beschränke mich hier mal auf die zwei gefährdenden Faktoren Streess und Gewohnheiten. Dauerstress beeinflusst unsere Lebensqualität undund damit unser Immunsystem. Wenn der Stress die Ursache ist, dann sollte etwas in der Lebensführung verändert werden bevor der Mangel sich körperlich äussert und wir krank werden. Und da sind wir bei der Gewohnheit. Wir verändern uns nicht gerne, weil wir nicht genau wissen, was dann kommt. Da spielen auch Ängste mit. Deshalb bleiben viele beim Alten, was das Gesundwerden behindert.

Welchen Beitrag könnte aus Ihrer Sicht die Kirche zum Thema Gesundheit leisten?

Kirche kann als Gemeinschaft und Begegnungsort einen geschützten Rahmen bieten, wo Menschen sich vertrauensvoll austauschen können. Beispielsweise in einem Trauerprozess, wo der Verlust belastend wirkt und den Alltag schwierig macht. Schon darüber sprechen ist manchmal die halbe Miete und tut der Seele gut.

Dann könnte die Kirche Vorträge anbieten, welche die Menschen ermutigt, sich mit sich selbst und ihrer Lebenssituation auseinanderzusetzen und Möglichkeiten aufzeigt, einen Weg zur Gesundung einzuschlagen.

Vielen Dank für den informativen Austausch!

Heinz Mauch-Züger