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Was Paare von Hollywood lernen

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25.04.2018
Man verliebt sich, streitet und versöhnt sich. Auf der Leinwand wie im Leben. Doch Liebesfilme enden mit einem Happy End. Viele Ehen nicht. Das müsste nicht sein, sagt Drehbuchautor Maximilian Vogel. Paare könnten von den Leinwandhelden lernen.

Herr Vogel, auf der Leinwand enden Liebesgeschichten nach 90 Minuten mit einem Happy End. In der Realität lassen sich viele Paare scheiden. Warum?
Nach einer anstrengenden Arbeitswoche wollen viele Menschen nicht auch noch im Kino mit den Sorgen des Alltags konfrontiert werden. Das wird der Hauptgrund sein, warum Hollywood gerne romantisiert und Scheidungsdramen seltener in den Kinos laufen. Die Stärke von Hollywood besteht darin, uns zu zeigen, dass in persönlichen Krisen grosse, ungeahnte Chance liegen, die zu einer Vertiefung der Beziehung und zum erhofften Happy End führen können. 

Was können Paare von Hollywood lernen?
In Liebesfilmen beobachten wir die Helden dabei, wie sie in ihren Beziehungen Fehler machen und dadurch etwas Entscheidendes für ihr Leben mitnehmen: Sie lernen, sich zu öffnen und mehr von sich preiszugeben. Das bedeutet: Wenn es Paaren gelingt, in einer Krise die Dinge anzusprechen, die sie verdrängen und aus Angst vor Konflikt vermeiden, so bekommen sie die Chance, einen gemeinsamen, neuen und besseren Weg für die Zukunft zu finden.

Klingt dies nicht wie aus dem Lehrbuch für Dramaturgie?
Keineswegs. Die Struktur hinter den Filmgeschichten ist keine Erfindung Hollywoods, sondern entstammt der Beobachtung unseres menschlichen Verhaltens. Hollywood spiegelt trotz der romantischen Überhöhung unser Leben und steht für eine kraftvolle Hoffnung, die uns zeigt, dass es sich lohnt die Beziehung nicht zu früh aufzugeben.

Mann trifft Frau, sie verlieben sich und schweben auf Wolke Sieben.
Richtig. Man sagt nicht umsonst, frisch Verliebte seien blind vor Liebe – und das ist gut so. Die rosa Brille hilft uns, uns auf einander einzulassen, indem wir alle Ängste, Vorurteile und Befürchtungen beiseite schieben und nur die tollen Seiten des Gegenübers sehen. Hollywood macht sich diese einseitigen, aber hochintensiven Gefühle zu eigen, indem es die Geschichten des ersten Kennenlernens erzählt, diese zuspitzt und verdichtet. 

Und dann kommt der graue Alltag. Wo bleibt die rosa Brille?
Am Beispiel von «Harry und Sally» kann man gut sehen, dass wenn Paare nach dem ersten Verliebtsein in die Tiefe ihrer Beziehung vordringen, sie das Geheimnis dauerhafter Beziehungen entdecken können. Denn die hohe Kunst der langfristigen Liebe besteht darin, sich auch ohne rosa Brille und trotz etlicher Unzulänglichkeiten und Schwächen wertschätzen und lieben zu können. Ein intensiver, angstfreier und vertrauensvoller Austausch hilft dabei, sich auf das Gegenüber einzulassen, und schafft ein intensives Gefühl von Gemeinsamkeit und Sicherheit.

Sind Sie ein unerschütterlicher Romantiker?
Natürlich kenne ich auch Zweifel. Aber erinnert sich nicht jeder gerne an das überwältigende Gefühl des Verliebens? Zumal Verliebtsein ja bedeutet, die anziehenden Seiten des Gegenübers ungetrübt zu sehen und zu erleben. Der Erfolg von Hollywood könnte man so lesen, dass die Liebesfilme etwas spiegeln, dass viele als angenehme Erinnerung oder Hoffnung empfinden.

Werden wir nicht frustriert, wenn unsere Beziehungen anders aussehen als auf der Leinwand?
Sicherlich prägt Hollywoods Romantik unser kollektives Bild von Beziehungen. Die romantischen Überhöhungn sind Tagträume und sollten so verstanden werden. Aber selbst diese Tagträume haben hinter der Romantik und dem Kitsch einen realistischen Kern, der uns etwas über unser menschliches Verhalten erzählt. Letztendlich treibt den Menschen wie auch den Kinohelden die Liebe und die Hoffnung an, um Wege aus dem Dunkel des Alltags zu suchen.

Bleiben wir beim Alltag: Unsere Dialoge sind bald einmal banal und an den Hüften sammeln sich die Kilos. Wie lautet der Tipp des Drehbuchautors? Ignorieren? Dagegen ankämpfen?
Ein Drehbuchautor macht keinen Unterschied zwischen realen Figuren und Drehbuchhelden. Auch im Film werden die Hauptfiguren mit ihren Schwächen konfrontiert und müssen einen Weg finden, mit den Herausforderungen des Lebens gut umzugehen. Gelingt es, bekommen sie ihr Happy End. Wir freuen uns, denn sie haben etwas geschafft, das uns selbst unheimlich schwer fällt.

Der Weg bedeutet Veränderung: Schüchterne werden mutiger und harte Kerle entdecken ihre sensible Seite. Glauben Sie, dass ist realistisch?
Absolut.

Warum?
Drehbuchautoren sind keine Fantasten, die ihre Geschichten aus dem Nichts heraus entwickeln. Sie schöpfen aus der Beobachtung. Aus der Sicht des Drehbuchautors ist die Entwicklung einer Filmfigur, die diese während 90 Minuten Spielzeit durchläuft, die eigentliche Geschichte. Gäbe es im realen Leben keine Entwicklungen, gäbe es keine Vorlagen für uns Autoren. Gerade weil der Weg einer solchen Veränderung so schwierig sein kann, ist er etwas Besonders.

Die Entwicklung bedeutet Arbeit und Selbstkritik?
Eine solche Entwicklung bekommt niemand geschenkt. Sie beruht auf Hoffnung und dem Glauben an die Liebe. Dass die Liebe Berge versetzen kann, wussten wir lange bevor Hollywood seine ersten Filme drehte. Schliesslich erzählt schon das Neue Testament davon, wie Saulus zu Paulus wurde.

Ohne Entwicklung endet die Geschichte im Leben wie im Film in einer Tragödie?
Auch wenn die Frage drastisch formuliert ist, würde ich sagen, Menschen, die sich nie weiterentwickeln, verpassen etwas Wichtiges. Sie bekommen nicht die Chance, Neues kennenzulernen und mehr vom gesamten Spektrum des Lebens zu erfahren. Es geht nicht darum, dass wir von krankhaftem Ehrgeiz zerfressen uns stets kritisieren. Aber es gibt Situationen im Leben, die fordern einen geradezu auf, in sich zu gehen, sich neuen Erkenntnissen zu öffnen und Veränderungen einzuleiten.

Zum Schluss: Welchen Film sollen sich Paare gemeinsam anschauen?
Alle Filme, bei denen sie Spass haben und für sich etwas entdecken, dass ihnen etwas bedeutet und worüber sie reden können. Die eine entdeckt bei «Titanic» einen wahrhaften Moment, der sie tief berührt und nachdenklich stimmt, der andere findet bei Bergmanns «Wilde Erbeeren» Einsichten, die sein Leben bereichern. Für mich spiegelt der rege und bereichernde Austausch während und nach dem Filmerlebnis die tiefe und grosse Kraft, die das Kino hat.

Tilman Zuber, kirchenbote-online, 25. April 2018

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