News aus dem Kanton St. Gallen

«Der Sport kann Religion nicht ersetzen»

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26.01.2017
Am 6. Februar startet in St. Moritz die Ski WM. Die Schweiz fiebert dann vor dem Fernseher dem erhofften Sieg ihrer Idole entgegen – zusammen mit dem Kommentatorenduo Matthias Hüppi und Bernhard Russi. SRF-Sportmoderator Hüppi über die Vorbildfunktion von Sportlern, spirituelle Erfahrungen und nationale Identifikation.

Herr Hüppi, bald beginnt die Ski WM, diesmal im eigenen Land. Müssen Sie als Sportmoderator auch den Schweizer Nationalstolz bedienen?
Wir Schweizer sind da im Vergleich zu anderen Ländern eher zurückhaltend. Wenn ein Schweizer das Abfahrtsrennen gewinnt, kann das Identifikation stiften. In meinen Augen ist es legitim, sich darüber zu freuen, wenn die Schweiz konkurrenzfähig ist.

Darum machen gewisse Länder auch Druck mit Doping, wie Russland 2014 in Sotschi.
Da sind wir weit davon entfernt, denn bei uns ist der Sport nicht politisch oder von Staates wegen gesteuert. Aber natürlich darf sich auch die Schweizer Politik freuen, wenn es etwas zu feiern gibt.

Unsere Spitzensportler lassen sich von Firmen sponsern und damit vereinnahmen.
Ein Spitzensportler braucht diese Einnahmequellen, gerade weil der Sport bei uns kein Staatsbetrieb ist. Es gibt viele Privatinitiativen, um jemanden zu unterstützen. Dazu kommt Sponsoring, was aber unproblematisch ist, solange die Werbung mit den eigenen Wertvorstellungen vereinbar ist. Zudem gibt es hier klare Richtlinien.

Schweizer Siege sind aber gut für Einschaltquoten bei SRF und beim Sportpanorama.
Ja, und darum ist es mir noch so recht, wenn die Schweizer Sportler auch erfolgreich sind. Es macht doch Freude, wenn die Nationalmannschaft gegen eine Fussballgrösse wie etwa Italien gewinnt. Und wenn es nicht reicht, geht die Welt nicht unter. Freude muss drin liegen, beim Moderator wie auch bei den Zuschauern.

Haben Sportler eine Vorbildfunktion?
Das ist ein hehrer Anspruch an eine Sportpersönlichkeit, die im Rampenlicht steht. Wenn jemand in der Lage ist, diese Rolle zu übernehmen, ist das gut. Aber wenn das aufgezwungen ist, kommt es nicht gut raus. Man kann damit Athleten auch zu viel aufbürden. Aber natürlich gibt es wichtige Werte wie gegenseitiger Respekt, Fair Play oder gegenseitige Hilfe, die sich im Sport wunderbar manifestieren können. Ich kenne selber viele Beispiele von vorzüglicher Fairness, die auch gegen aussen ausstrahlt.

Und Sportstars können zum Sport motivieren?
Wenn sich Jugendliche sportlich betätigen, weil sie sich an einem Idol orientieren und auch so gut werden wollen, ist das perfekt. Natürlich gehört dann dazu auch die Bereitschaft, für ein Ziel zu arbeiten. Denn hinter jedem sportlichen Erfolg steckt unglaublich viel Arbeit. Nimmt jemand diesen Weg mit Unterstützung vieler auf sich und erreicht das Ziel – was will man mehr? Ob es dann für Topränge reicht, ist eine andere Frage. Dazu braucht es nicht zuletzt auch eine Portion Glück.

Die Verehrung der Sportidole nimmt manchmal religiöse Züge an.
Wir sind da dezent. Bei uns in der Schweiz ist eher Skepsis vorhanden, wenn jemand zu erfolgreich wird. Wenn sich aber jemand durch seine sportliche Leistung, kombiniert mit seiner Persönlichkeit, weiterentwickelt und zu einem Star wird, so kann man da nichts dagegen haben. Das gilt ja auch für die Musikszene. Die Frage ist nur, wie man raufgespült wurde und ob das Fundament stimmt.

Wie ist es auf der Seite der Verehrer, der Fans. Wann wird es da ungesund?
Ich erachte es als etwas Schönes, diese Fanclubs, z. B. bei den Skirennen. Sie reisen ihren Fahrern nach, unterstützen sie, geben Support – und darum geht es.

So ist es falsch, von Ersatzreligion zu reden?
Der Sport kann Religion nicht ersetzen. Wenn jemand religiös ist, dann sucht er das nicht im Sport, sondern in der Religion selber. Es gibt Gegenden auf der Welt, wo der Sport eher diese übersteigerte Bedeutung haben kann. In der westlichen Welt sehe ich das weniger.

Weil wir ein starkes Christentum haben?
Ich würde es mir wünschen. Ich weiss aber nicht, wie stark es noch ist. Es blättert da und dort. Es gibt andere Sachen, die für viele punkto Wichtigkeit höher stehen, aber das ist eine Zeiterscheinung. Es gibt jedoch auch andere Tendenzen, dass Religion neu entdeckt wird.

Gibt es beim Sport auch so etwas wie spirituelle Erfahrung, eine Art Entgrenzung?
Es geht eher in die Richtung, zu spüren, wozu man fähig ist. Sich vergessen und in einen Bereich zu drehen, wo man geistig gar nicht mehr nachvollziehen kann, was abgeht – das passt nicht zum Sport. Man muss im Bewusstsein halten, wie alles optimal funktioniert, die Technik, die Bewegungen – man kann oder sollte diesen Bereich gar nicht gänzlich verlassen, auch im vielzitierten Flow nicht.

Wenn Bewegungen automatisiert sind, kann sich der Geist aber weiten, etwa beim Langlauf.
Ja, das geht mir auch so, wenn ich auf den Skating-Skiern in einer schönen Landschaft bin. Dann spielt das alles mit. Man verlässt sein Viereck und hat diese schönen Empfindungen.

Welches ist der gesündeste Sport?
Was den Breitensport betrifft, so würde ich Langlauf nennen: Das ist ein umfassendes Training in Ausdauer, Koordination, Kraft und Technik. Ich bin ein Bewegungsmensch und bewege mich fünf Mal pro Woche intensiv. Das muss nicht jeder. Aber jede Art von Bewegung ist sinnvoll, auch im Hinblick auf die Gesundheit.

Andreas Schwendener / Kirchenbote / 26. Januar 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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