#14: Der Engel im Postauto, der Paul den Laptop überbrachte
Es ging sehr trubelig zu in diesen Adventstagen vor einem Jahr. Unser Sohn steckte gerade im ersten Jahr seiner Ausbildung als Fachmann Gesundheit und hatte sich noch nicht so gut organisiert, was er alles dabei haben muss. An diesem Morgen war er auf dem Weg nach St. Gallen zu einem seiner überbetrieblichen Kursen. Es war 6 Uhr, ich stand in der Küche und schmierte gerade Brote für Pauls Geschwister, da klingelte mein Telefon und dran war Paul. Er sei im Postauto nach Buchs unterwegs und habe seinen Laptop vergessen, den er doch gerade heute so dringend brauche … sonst gebe es wieder einen Eintrag … Ich haderte mit mir, eigentlich trage ich meinen Kindern ungern Dinge hinterher, sie sollen doch Selbstverantwortung lernen, für ihre Fehler selber einstehen. Aber dann wurde mein Mutterherz doch weich, schliesslich stand ja Weihnachten kurz vor der Tür, und so versprach ich ihm, mich gleich mit seinem Laptop ins Auto zu setzen und dem Postauto hinterherzufahren.
Filmreife Vollbremsung
Wir vereinbarten die Laptopübergabe an einer Postautohaltestelle zwischen Gams und Buchs. Das Postauto hatte einen Vorsprung von ca. zehn Minuten. Es war ein Rennen gegen die Zeit, ich war einfach nicht schnell genug, versuchte, sämtliche Abkürzungen zu nehmen und das Postauto irgendwie einzuholen. Am Kreisel kurz vor Werdenberg gelang es mir schliesslich.
So drückte ich dem erstbesten Kerl Pauls Laptop in die Hand und stammelte: ‹Mein Sohn ist da irgendwo im Postauto. Kannst du ihn finden und ihm den geben?›
Meine Vollbremsung war filmreif, genauso wie der Sprung aus dem Auto und zur geöffneten Tür des Postautos, das gerade angehalten hatte. Massenhaft Leute waren im Postauto, sogar alle Stehplätze bis auf den letzten waren besetzt. Kein Paul in Türnähe oder irgendwo in Sichtweite, noch dazu ein Doppelstöcker. Das hatte ich so nicht erwartet. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken, musste einfach schnell handeln. So drückte ich dem erstbesten Kerl, der da stand und mich völlig ahnungslos anstarrte, Pauls Laptop in die Hand und stammelte nur: «Mein Sohn ist da irgendwo im Postauto. Kannst du ihn finden und ihm den geben?» Die Tür begann sich langsam zu schliessen, da rief er mir noch geistesgegenwärtig zu: «Wie heisst Ihr Sohn überhaupt?» Die Tür war nur noch einen winzigen Spalt offen, ich rief ihm Pauls Namen zu und schon war das Postauto abgefahren.
Nicht mal ein Handy dabei
Da stand ich nun, völlig betröpfelt, irgendwie hilflos und auch entsetzt über mich selbst: Wie hatte ich nur einem wildfremden Mann Pauls teuren Laptop einfach so in die Hand drücken können? In der Eile hatte ich kein Handy mitgenommen, konnte Paul nicht anrufen und ihm Bescheid geben. Auf der Fahrt zurück nach Hause ging mir so viel durch den Kopf, ich hatte grosse Bedenken und doch überkam mich plötzlich ein ganz grosses Gefühl von Gelassenheit und Urvertrauen. Ändern konnte ich die Situation ja jetzt eh nicht mehr.
Die Bahnsteige abgeklappert
Irgendwann im Lauf des Tages kam dann Pauls Anruf: «Mama, es ist alles gut gegangen.» Der nette junge Mann hatte ihn im Postauto nicht erwischt, aber dann noch alle Bahnsteige in Buchs abgeklappert und sich durchgefragt, bis er Paul schliesslich gefunden hatte. Was für eine Tat! Der Mann hatte keine Zeit und Mühen gescheut, um Paul und mir diesen Gefallen zu tun. Und das mitten im Advent. So kurz vor Weihnachten, wo alles schnell gehen muss. Wir konnten diesem jungen Mann nie Danke sagen, aber vielleicht liest er ja gerade jetzt diese Geschichte und erkennt sich wieder. Für mich war klar, ich war in diesen Tagen einem Engel begegnet. Und das Beste daran ist: Man trifft sie nicht im Himmel, sondern hier auf der Erde, mitten im Alltag, zwischen Bahnsteig und Gleisen, zwischen Menschenmengen und Weihnachtstrubel. Einfach so.
St. Galler Adventskalender
Leserinnen und Leser des St. Galler Kirchenboten haben erzählt, gedichtet und fotografiert. So ist ein einzigartiger Adventskalender entstanden mit Geschichten aus dem ganzen Kanton.
#14: Der Engel im Postauto, der Paul den Laptop überbrachte