«Das Gesicht kann lügen»
Frau Frassetto, was fasziniert Sie am Spiel mit den Masken?
Florian Frassetto: Wissen Sie, das Gesicht kann lügen. Ich kann Sie zum Beispiel anlächeln, Ihnen in die Augen schauen und behaupten, dass es mir gut gehe. Habe ich eine Maske auf, ist es schwieriger zu schwindeln, da die Körpersprache weniger leicht manipulierbar ist als die Mimik. Es ist also ein Trugschluss, wenn die Leute meinen, sie könnten sich hinter einer Maske verstecken.
Welches ist Ihre Inspiration?
Einerseits all das, was tagtäglich um uns herum passiert, Eindrücke und Entdeckungen auf Reisen sowie die Objekte und Materialien, die wir sammeln, um daraus Masken zu machen.
«Schlimm ist, wenn der amerikanische Zoll die Einfuhr des WC-Papiers blockiert.»
Wir versuchen immer, das Drama des Lebens auf eine humorvolle und poetische Art darzustellen. Schön ist, dass wir dafür eine universelle Sprache gefunden haben, die für alle Kulturen gut verständlich ist.
Seit zehn Jahren arbeiteten Sie mit einer neuen Generation von Darstellern zusammen. Was hat diese eingebracht?
Sie bringen ihr Talent und neue Inputs ein. Das ist ein wunderbarer Austausch. Ich muss dabei ein wenig kämpfen, damit der rote Faden nicht verloren geht. Der erste Antrieb des Künstlers ist immer, dem Publikum möglichst viel zu geben, doch viel ist nicht immer gut. Weniger ist mehr. Speziell bei Mummenschanz.
Neigen die Jungen mehr zur Unterhaltung und Sie zur Poesie?
So würde ich das nicht ausdrücken. Ich habe die Philosophie sicher mehr verinnerlicht, weil ich schon fast fünfzig Jahre Teil von Mummenschanz bin. Was die Jungen einbringen, ist ihre unglaubliche physische Energie, die ich mit 70 Jahren nicht mehr besitze. Dafür habe ich eine grosse spirituelle Energie.
Welches sind Ihre Favoriten unter den vielen Masken, die Sie entworfen haben?
Die Röhren, die Toilettenpapier-Maske und der grüne Mund, doch das ändert sich jeden Tag, je nach Stimmung. (lacht)
Können Sie uns von lustigen Missgeschicken mit den Masken erzählen?
Uff, wenn das Material nicht so reagiert, wie man es sich wünscht. Man arbeitet zum Beispiel mit einer Plastikform, bläst diese zu stark auf und alles explodiert. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist jedoch, dass dir der amerikanische Zoll die Einfuhr deines Toilettenpapiers nicht erlaubt. Das ist schlimm, ganz schrecklich!
Weshalb?
Dann muss ich den Beamten erklären, dass wir für unsere Show unbedingt unser deutsches WC-Papier brauchen, weil es stark ist und nicht abreisst, wenn die eine Figur in diesem Sketch weint und der anderen die Ohren abfallen. Wenn sie entgegnen, dass es in ihrem Land genug gutes Toilettenpapier gibt, besänftige ich sie: «Es ist sogar das beste der Welt, aber leider zu weich.»
Haben Sie als Italoamerikanerin eine Beziehung zum Carnevale?
In meiner Jugend fand ich ihn noch sehr elegant, einfach wunderbar! Als ich Venedig in den Achtzigerjahren erneut besuchte, war er nur noch laut und vulgär. So bevorzuge ich die Basler Fasnacht. Sie ist toll. Ich habe sie einst mit Bernie Schürch (ihrem früheren Lebens- und Bühnenpartner, Anm. d. Verf.) volle drei Tage und drei Nächte durchlebt und war fasziniert. Mein Lieblingsevent ist aber das Appenzeller Silvesterchlausen. Wenn gejodelt wird, muss ich immer weinen. Das berührt mich zutiefst.
Wie hat sich die Bedeutung der Religion in Ihrem Leben verändert?
Ich wuchs in einer katholischen Privatschule auf. Ich konnte es kaum ertragen, so schmerzten meine Knie! (lacht) Dann ging ich viele Jahre lang in keine Kirche mehr. Seit mein Lebenspartner, Hansjörg Tobler, vor zehn Jahren an Krebs gestorben ist, ist die Religion wirklich wichtig für mich. Aus einer Sehnsucht nach innerer Wärme begann ich wieder in die Kirche zu gehen. Ich verehre die Madonna, entzünde ihr zu Ehren Kerzen und bete zurzeit inständig, dass sich die Türen der Theater und Museen bald wieder öffnen. Ich halte gemeinsam erlebte Kultur für extrem wichtig! Man hat Spass, interagiert, teilt und fühlt sich lebendig.
Interview: Reinhold Hönle, Journalist BR, Baden | Fotos: zVg – Kirchenbote SG, Februar 2021
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