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Leben & Glauben

Eine ungewöhnliche Biographie

Mit Zwingli auf Du und Du

18.12.2017
Wer Zwingli mal im O-Ton hören will, ist gut beraten, mit Charlotte Treschl Kontakt aufzunehmen. Denn die einstige Katholikin aus Zürich, seit bald 20 Jahren in Wildhaus zu Hause, kennt den Reformator praktisch persönlich.

«Mir sind seine Worte wichtiger als Stationen seines Lebens», erklärt die dreifache Ur-Grossmutter. Seit 17 Jahren koordiniert sie Führungen im nahen Geburtshaus des berühmten Toggenburgers. Und dabei kommt es ihr nicht auf Balken, Geräte und Räume im ärmlichen Bauernhaus an, sondern auf die Botschaft darin. Allein darauf.

«Christsein ist nicht Schwätzen von Christus, sondern Wandeln, wie er gewandelt hat.» 

«Ich muss Gott nichts bringen»
«Für mich war es befreiend, als ich erkannte, dass ich Gott nichts bringen muss, sondern Er mir was bringt», erinnert sie sich an den Moment ihrer eigenen evangelischen Erkenntnis. Grad so wie bei Zwingli. Seitdem besuchte sie immer einen Hauskreis, um auf die Bibel zu hören. «Legt um Gottes Willen die Bibel in die Mitte», habe jener schon gefordert. Sie nimmts wörtlich. Und belässt es nicht bei frommen Reden. Viele Jahre leitete sie die Sonntagschule in St.Gallen, lebte ihren Glauben im Beruf als Heimleiterin von Nesslau und stand Patientinnen beratend zur Seite, als Mitarbeiterin der Krebsliga. «Christsein ist nicht Schwätzen von Christus, sondern Wandeln, wie er gewandelt hat», habe Zwingli doch gefordert. 

Mehr Kraft bitte
Sich in den Vordergrund zu spielen, Lob einheimsen und in der Öffentlichkeit zu stehen, ist Treschl darum so wesensfremd, dass sie kaum die Briefe vornehmen mag, die sie und ihr fünfköpfiges Team im Laufe der Jahre erhalten haben. Es ist schliesslich eine mächtige Beige. Ein Blick zeigt: Schlussklassen, Kulturfreunde, Vereinsreisen und Einzelgäste bedanken sie darin rührend für die feine Art, mit der es ihr gelungen ist, die reformatorische Botschaft lebendig zu machen. 

Zu flache Formel
Sie staunt denn auch manchmal, dass in der reformierten Kirche so wenig von der Heiligkeit Gottes, von Demut und Ehrfurcht die Rede ist. Altertümliche Worte, ja. Doch «Guter Gott», – diese Formel sei ihr einfach zu flach. Sie vermisse im Gottesdienst bisweilen die Kraft, ja, das Vertrauen in die Kraft. «Hört auf Gottes Wort, denn dieses wird euch zurecht bringen», sagte Zwingli. Er hätte wohl Freude an Charlotte Treschl gehabt.

 

Text: Reinhold Meier, Wangs | Foto: as  – Kirchenbote SG, Januar 2018

 

«Zwinglis Leben war intensiver»

Warum engagieren Sie sich mit Führungen in Zwinglis Geburtshaus?
Weil Zwingli das «Wort» ausdeutschen wollte. Er wollte Gottes Wort und der Bibel viel Raum geben und wirklich darauf hören. Das war ihm das Wichtigste. Für mich auch. Darum mache ich Führungen. Ich habe nie ein fertiges Konzept, sondern gehe auf jede Gruppe ein. 

Welches ist Ihr Lieblingsraum?
Gar keiner! Die Räume sind unwichtig. Nur die Bibel ist wichtig. Das wäre Zwinglis Botschaft heute. Deshalb ist mir im Zwingli-Haus die sogenannte Froschauer-Bibel am wertvollsten. Es ist erst die dritte Bibel dieses ersten Schweizer Buchbinders. Sie liegt in der «Familien- und Amtsstube». Amt und Familie gehörten für Zwingli zusammen.

Was möchte sie den Besuchern mitgeben?
Ich erzähle ihnen, dass das Leben zu Zwinglis Zeit viel härter war als heute. Ein Abend ohne Strom und Wasser musste «erdauert» werden, wie man damals sagte. Das war anstrengend. Aber das Zusammenleben war auch intensiver. Nicht wie heute, wo jeder wegrennt. Gebet und Andacht gehörten dazu und füllten die nächtlichen Stunden. 

Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Ihren Gästen?
(Treschl schweigt, zögert, dann sagt sie leise:) Die meisten sind ziemlich begeistert. (Pause). Aber das ist mir fast peinlich. Ich mache die Führungen aus Überzeugung, nicht damit ich gelobt werde. Doch es gibt wirklich viele Rückmeldungen und ganz schöne, persönliche Briefe. 

Was bedeutet Ihnen die Erinnerung an das Erbe von Huldrich Zwingli?
Sein Erbe erinnert mich daran, dass Gott zu allen Zeiten Menschen in seinen Dienst gerufen hat. Es erinnert mich auch daran, dass Berufene manchmal Rückschläge erleiden müssen und Enttäuschungen erleben. Das kenne ich auch. Etwa, als mir vor vielen Jahren mal ein Pfarrer erklärte, er wolle die Sonntagschule abschaffen. Zwingli ist aber ganz treu im Glauben geblieben. Das ist doch herrlich! Es bedeutet mir viel. Herrlich! 

 

Interview: Reinhold Meier, Wangs