News aus dem Kanton St. Gallen

Wie christliche sind Sie?

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01.01.2016
Haben Sie frei an Auffahrt und Pfingsten? Natürlich. Natürlich? Unser Alltag baut auf ein christliches Fundament, auch wenn wir es oft nicht mehr als solches erkennen. Einige Beispiele.

Unser Tag hätte wohl auch ohne christliche Tradition die gewohnte Länge, da eine Erdumdrehung so lange dauert, und auch die Wochenlänge mag mit den Mondphasen zusammenhängen. Aber dass sich der Sonntag von den andern abhebt, basiert auf der Bibel: Jesus ist am ersten Tag der Woche auferstanden und als dieser galt der Sonntag lange Zeit (wodurch übrigens auch der Mittwoch wirklich in der Wochenmitte lag).

In den USA oder England ist das sogar heute noch so, während die Juden den letzten Tag der Woche feiern, also den Sabbat oder Samstag. An diesem siebten Tag ruht Gott in der Schöpfungsgeschichte und deswegen erscheint er auch in den Zehn Geboten. Erst 1978 hat die UNO festgelegt, dass international der Montag als Wochenbeginn gilt. Wenn wir den Tagesablauf betrachten: Die drei täglichen Hauptmahlzeiten ­gehen wahrscheinlich auf den Rhythmus der Kloster­gemeinschaften zurück.

Fundament und Bausteine
Dabei zeigt sich schon, dass das christliche Fundament, auf das wir heute allerlei Häuser bauen, keine homogene Masse ist. Manche Bausteine stammen aus der Bibel, andere aus dem kirchlichen Umfeld und einige sind aus anderen Traditionen eingefügt worden. Manche Bauelemente sind uralt, andere vergleichsweise jung, einige gefallen uns bestens und andere finden wir befremdend. Aber durch die Jahrhunderte haben sie sich fest zusammengefügt.

«Ich gehe nicht mehr in die Kirche, die hat so viel Schlechtes gemacht und zugelassen», höre ich immer wieder. Ich bin einverstanden, dass es in der Kirchengeschichte Moder und Fäule gibt, und das lässt sich nicht einfach mit den Errungenschaften aufwiegen. Aber so wie ich das Fehlgeleitete nicht ausblenden will, so finde ich es auch schade, die vielen tragfähigen Elemente zu ignorieren. Dazu zählen unzählige Institutionen, die uns heute selbstverständlich erscheinen, wie etwa die soziale Fürsorge, Spitäler oder Schulen.

Schulen, Spitäler, Justiz, Sprache …

Bei den Griechen und Römern unterrichteten meist Hauslehrer die Sprösslinge, während die Klöster allmählich Schulen mit einem zentralisierten Lehrplan aufbauten. Zu Beginn war der Lehrplan sehr religiös orientiert und einem kleinen Kreis vorbehalten, aber mit der Zeit konnte sich daraus eine Volksbildung entwickeln. In der Medizin hat die Kirche den Fortschritt lange verhindert, doch aus der Pflege von Pilgern durch Nonnen und Mönche entwickelten sich schliesslich Hospitale. Beim Engagement zugunsten der Kranken stand der karitative Gedanke im Vordergrund. Unser modernes und an sich säkulares Justizsystem würde ebenfalls anders aussehen, wenn das Konzept von Strafe, aber auch die Möglichkeit eines Schuldeingeständnisses und Neuanfangs nicht so tief in uns verwurzelt wäre.

Die Verbundenheit mit dem Christentum schimmert aber auch im Sprachgebrauch durch. «Seit wann zitierst du aus der Bibel?», fragte ich neulich einen Kollegen, der soeben lapidar kommentiert hatte: «Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.» Er war sich nicht bewusst, dass dieser Satz eine von vielen Redewendungen ist, die bereits in der Bibel zu finden sind. Auch Einzelbegriffe haben Einzug in unser modernes Leben gefunden. Dazu zählt «Sabbatical», eine Auszeit. Die Idee geht zurück auf das biblische Sabbatjahr, das der Regeneration von Mensch und Feldern dienen soll.

Beerdigungs- und Grabkultur

So ziehen sich christliche Elemente und solche, welche die Kirche aus dem Judentum und an­deren Kulturen übernommen und dabei neu ­geprägt haben, durch unseren Alltag. Und auch wenn viele aus der Kirche austreten: Am Lebensende lassen sich immer noch die meisten auf einem Friedhof begraben (ohne Ausrichtung nach Mekka) und weder rituell verbrennen, noch überlassen sie ihre Leichen wie die Parsen auf Türmen den Geiern. Wie viele sind wohl heute noch stärker mit dem Christentum verbunden, als sie denken? ■

 

 

 

Text: Lotti Gerber, St.Gallen | Foto: as

 

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