News aus dem Kanton St. Gallen

(K)eine Jugend wie jede andere?

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01.07.2019
Drei Teenager, ein kirchlicher Jugendarbeiter und eine Schulsozialarbeiterin machen sich Gedanken darüber, was es im Jahr 2019 bedeutet, erwachsen zu werden.

Patrick (15) und Lukas (15) stehen kurz vor dem Abschluss ihrer obligatorischen Schulzeit. Fabienne (19) hat soeben ihre Lehre abgeschlossen.

Ab welchem Alter fĂĽhlt man sich erwachsen?
Patrick: Mit 20.
Lukas: Das ist personenabhängig. Vielleicht erkennt man es daran, dass man vernünftiger geworden ist.
Fabienne: Einerseits fühle ich mich bereits erwachsen, seit ich zum ersten Mal meine eigenen Rechnungen bezahlen musste. Gleich- zeitig will ich irgendwie noch nicht so recht erwachsen sein, geniesse den Jugendbonus und die Momente kindlicher Freude.

Was unterscheidet euch von euren Eltern in deren Jugendzeit?
Patrick: Die Mutter war weniger am Handy als ich.
Lukas: Jede Generation hat ihre Vor- und Nachteile. Vielleicht haben wir mehr und schwierigeren Schulstoff. Durch die sozialen Medien wachsen wir sicher anders auf.
Fabienne: Wir sind immer erreichbar. Man kann zudem z.B. ein Outing auf Instagram machen und es ist einfacher, jemandem seine Liebe zu gestehen oder Schluss zu machen. 

Was brauchen Jugendliche von Erwachsenen?
Patrick: Freiraum, damit wir unsere Kindheit ausleben und dann hinter uns lassen können.
Lukas: Unterstützung und Vertrauen, so können wir möglichst viele Erfahrungen machen. Und sollten wir Fehler machen, dann werden wir dadurch hoffentlich gescheiter ...
Fabienne: Jugendliche sollten häufiger Ratschläge von Erwachsenen annehmen. Nicht von den Eltern – auf die hört man als Kind sowieso nicht. Aber vielleicht von Lehrern und anderen Bezugspersonen.

Was kann oder könnte man in der Schule lernen für das Erwachsenenleben?
Patrick: Den Umgang mit Geld.
Lukas: Die Schule gibt einem Grundlagen mit, aber sie könnte uns noch mehr über den Umgang mit Menschen und über den Alltag als Erwachsene vermitteln.
Fabienne: Statt den Umfang der Sonne berechnen zu können, wäre mehr Allgemeinbildung hilfreich; geschätzt hätte ich mehr Wissen über Politik, z.B. wie eine Bundesratswahl abläuft. Und einmal die Steuererklärung durchzunehmen in der Berufsschule – dazu reichte es leider nicht. Die Schule bereitete mich nicht wirklich auf das Leben vor.

Seid ihr optimistisch, was die Zukunft unserer Welt angeht?
Patrick: Ja. Man muss einfach etwas gegen die Probleme unternehmen – und ich glaube daran, dass wir das tun werden.
Lukas: Ich habe keine Angst, aber es könnte schon sein, dass die Welt eine ganz andere sein wird als heute.
Fabienne: Ich bin skeptisch, nicht nur wegen des Klimas, sondern auch, weil die heutigen Kinder ihre Kindheit nicht mehr richtig ausleben können. Deshalb überlege ich mir auch selbst, ob ich überhaupt jemals Kinder haben möchte. Die Welt wird auf jeden Fall eine ganz andere sein.

Welche Träume, Ängste und Pläne habt ihr für euer Leben als Erwachsene?
Patrick: Ich habe keine bestimmten Vorstellungen, ich möchte einfach viel Zeit für meine Freunde und alles, was mir Spass macht.
Lukas: Wichtig ist mir ein guter Beruf, um finanziell abgesichert zu sein. Aktuell bin ich einfach zufrieden, dass ich eine Lehrstelle habe. Allzu grosse Pläne lohnen sich in meinem Alter nicht. Ich habe zwar meine Ambitionen, aber es wird in dieser Zeit unseres Lebens sehr schnell vieles wieder über den Haufen geworfen. 
Fabienne: Mein grösster Wunsch ist gerade in Erfüllung gegangen: Ich wurde bei der Swiss akzeptiert – etwas anderes will ich im Moment gar nicht. Darüber hinaus? Keine Ahnung. Ich möchte jetzt einfach einige Jahre arbeiten – und dann werde ich schon merken, wo ich hingehöre. Pläne und Träume sind schön und gut, aber niemand kennt seine Zukunft. Deshalb versuche ich einfach, im Moment glücklich zu sein. Man sollte nicht aufschieben, was man tun möchte.

«Zentral ist für die Begleitung junger Menschen, ihnen eine verlässliche, gleichwürdige Beziehung anzubieten.»

Beat (33) und Barbara (51) haben beruflich mit Jugendlichen zu tun. Er als kirchlicher Jugendarbeiter, sie als Schulsozialarbeiterin.

Wann habt ihr Euch erwachsen gefĂĽhlt?
Beat: Als ich mit 29 Jahren das Haus meiner Eltern gekauft habe.
Barbara: Es gibt Momente, in denen ich mich immer noch ein bisschen jugendlich fĂĽhle. Seit 35 Jahren arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen, das hielt mich tendenziell jung. Als junge Frau fĂĽhlte ich mich wohl ab dem Moment erwachsen, als ich meine Ausbildung abschloss und meine erste Klasse und meine erste eigene Wohnung ĂĽbernahm.

Welche Ängste und Wünsche beschäftigen die Jugendlichen von heute am meisten?
Beat: Ich glaube, sehr viele beschäftigen sich mit ihrem Auftritt, ihrer Vermarktung. Die digitale Welt bietet da viele Vorbilder und Möglichkeiten. Die Jugendlichen suchen positives Feedback – wie früher auch, aber im Unterschied dazu erhalten sie heute sofort Rückmeldung über Likes und Kommentare, selbst von ihnen unbekannten Personen. Die Stellensuche löst bei vielen Jugendlichen Ängste aus, die sich bei Rückschlägen verstärken, wenn sie z.B. merken, dass sie für die Wunschausbildung nicht die nötigen schulischen Voraussetzungen mitbringen. 
Barbara: Ich glaube, dass sich die Jugendlichen oft um ihren sozialen Status sorgen, Freundschaften, Liebe und Sexualität sind wichtige Themen. Und in der Oberstufe bekommt ihre persönliche berufliche Zukunft einen hohen Stellenwert. Wenig Einfluss hat in meiner Wahrnehmung die (Welt-)Politik.

Inwiefern hat es diese Generation leichter oder schwerer als frühere Jugendgenerationen? 
Beat: Die riesige Menge an Informationen, welche sich die Jugendlichen über Social Media beschaffen können oder mit der sie zwangsläufig konfrontiert werden, macht es für die Jugendlichen aus meiner Sicht schwieriger, sich selbst zu finden auf dem Weg ins Erwachsenenalter. Das verlief früher sicher anders, vielleicht auch einfacher.
Barbara: Meiner Ansicht nach spielt der Einfluss von Social Media eine grosse Rolle und stellt Jugendliche vor Herausforderungen: z.B. die stete Angst, etwas zu verpassen, die Sorge um den sozialen Status in den Social Media, die permanente Erreichbarkeit etc. Das sind Bereiche, mit denen sich frühere Generationen nicht auseinanderzusetzen hatten. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass heutige Jugendliche reifer oder unreifer sind als frühere. Es gab schon immer eine sehr grosse Bandbreite.

Sind die Jugendlichen mit 15, 16 Jahren gerĂĽstet fĂĽr die Arbeitswelt? Was brauchen sie?
Beat: Manche sind in diesem Alter bereit für die Arbeitswelt, andere sind es nicht. Sehr wichtig scheint mir für sie die Erfahrung, dass sie gut sind, so, wie sie sind, und dass sie ihre Meinung ohne Angst äussern dürfen.
Barbara: Mir scheint: Bedingt durch die frühere Einschulung ist der Zeitpunkt, zu dem sich Jugendliche mit der Berufswahl auseinandersetzen müssen, für viele früh, oft sogar zu früh. In dieser Phase – der Pubertät – stehen für viele eigentlich andere, entwicklungsbedingte Themen im Vordergrund. Ich glaube, sie sind dann fit für die Berufswelt, wenn sie beziehungs- und konfliktfähig sind und wenn sie zuvor ihre Sozial- und Selbstkompetenz und insbesondere ihren Selbstwert stärken konnten. 

Wie sollen Erwachsene Jugendliche begleiten? 
Beat: Sie sollen Jugendliche ernst nehmen, ihre Ideen unterstützen und bestärken, Räume schaffen, in denen sie Verantwortung übernehmen können – mit einem klaren Rahmen und einzuhaltenden Spielregeln, die mit den Jugendlichen erarbeitet wurden.
Barbara: Ich bin überzeugt, dass es in der Begleitung junger Menschen zentral ist, eine verlässliche, gleichwürdige Beziehung anzubieten, sie als Menschen so anzunehmen, wie sie sind, an sie zu glauben, sie zu ermutigen, ihren eignen Weg zu gehen und Verantwortung für sich und ihr Leben zu übernehmen. Zentral ist, ihnen authentisch zu begegnen.

 

Text: Philipp Kamm | Fotos: Rorschacher Konfirmationsklasse  – Kirchenbote SG, Juli-August 2019

 

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