News aus dem Kanton St. Gallen

Schluss mit dem Anti-Bilder-Reflex

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22.12.2019
Die Bilderfeindlichkeit der reformierten Kirchen ist – zugespitzt formuliert – ein Witz, ein schlechter Witz dazu, theologisch und künstlerisch. Trotzdem wird sie wie eine blutleere Ikone verehrt. Genau das ist die Pointe des Witzes.

Schöpfer, Burg, Feuer, Schirm, Glucke, Hirte, Hand, König, Quelle, Mutter, Sonne und Freund. Das sind nur zwölf jener über hundert Bilder, die die Bibel benutzt. Zufall?
Viele Menschen, selbst wenn sie kaum Verbindung zur Religion haben, erzählen mir, wie gerne sie in Krisenzeiten einmal still ein katholisches Gotteshaus besuchen und eine Kerze entzünden. Zufall?

Bilder schaffen Ordnung
Beides ist kein Zufall, spielen Bilder doch eine tragende Rolle, um sich und die Welt zu begreifen. Sie ordnen das Unübersichtliche, reduzieren Komplexität. Ohne sie würden wir durchdrehen. «Bilder spielen eine zentrale Rolle in religiösen Symbolsystemen, sind Träger von Bedeutungen, sie gestalten Weltbilder und vermitteln Normen und Werte», sagt Daria Pezzoli-Olgiati, Religionswissenschaftlerin an der Universität Zürich.

Ohne Bilder bleibt Gott so abstrakt, dass jede Vorstellung verdunstet.

Illustration entglitten?
Natürlich ist klar, dass die komplexe Realität nie vollständig in einem Bild aufgeht. Gott ist ja keine Quelle, keine Burg und kein Feuer, sondern er ist auch Freiheit, Weite, Hoffnung, Trost und Nähe. Aber ohne Bilder bleibt Gott so abstrakt, dass jede Vorstellung verdunstet. Wer das Bilderverbot als Monstranz vor sich herträgt, muss sich fragen, ob die inhaltliche Schwäche reformierter Kirchen nicht etwa darin liegen könnte, dass ihnen jede konkrete Illustration des Glaubens entglitten ist.

Kunst als Ablasshandel
Dabei war es ursprünglich anders gemeint. «Bilder [zu] machen, zur vereerung, ist wider gottes wort, deßhalb, wo sy in gefar der vereerung vorgestellt [werden], syend [sie] abzutuen», sagte Zwingli in der Berner Disputation 1528. Nicht gegen Bilder an sich verwahrt sich also der nüchterne Toggenburger Theologe, sondern gegen das Missverständnis, Bilder seien zu verehren. Er kritisierte, man könne sich mit der Stiftung von Kunst eine Abkürzung ins Himmelreich erkaufen. 

Krippe gegen Weihnachtskommerz

Denn Bilder stiften Identität: Ochs und Esel kennen ihren Herrn. In der Krippe liegt der, den aller Weltkreis nie beschloss. Maria bewegt Worte in ihrem Herzen und die Ausgesteuerten knien betend davor. Das Bild Jesu in der Krippe ist so wesensbestimmend für die Christenheit, dass es nicht einmal dem Weihnachtskommerz gelungen ist, es zu zerstören. So auch der Gekreuzigte, dessen Symbol auf fast jeder Bergeshöhe steht und an die Brücke zwischen Himmel und Erde erinnert.

Mut zum Bild
Warum haben die Taliban die Buddhas von Bamiyan zerstört, das Unesco-Weltkultur-erbe? Weil diese Stürmer die spirituelle Strahlkraft der Bilder erkannten. Ein Vorbild? Wohl kaum. Darum sollten reformierte Kirchen bunter werden, sichtbarer, spürbarer. Besucher dürfen einer Kirche ansehen, dass sie keine Turnhalle betreten, sondern einen Ort, der sie reizt, sich mit dem Heiligen zu verbinden. Dazu tragen Bilder bei, die an die uralte, so bildreiche, christliche Tradition erinnern. Mut also zu Feuer und Wasser, zu Pflanze und Wachstum, zu Engel und Kreuz und dem ganzen tiefen, biblischen Schatz, der gar den Menschen selbst als Bild Gottes begreift. Kein Witz. 

 

Text: Reinhold Meier, Journalist BR und Psychiatrie-Seelsorger, Wangs | Foto: Wikimedia   – Kirchenbote SG, Januar 2020

 

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