Ein Gott der Freiheit
Doch im Laufe der Jahrzehnte ging die freundliche Einladung in Vergessenheit. Aus der Grossfamilie des angesehenen Joseph wurde das unüberschaubare Volk Israel. Aus den willkommenen Gästen wurden in den Augen der Ägypter Schmarotzer. Fremde, die sich ein schönes Leben machten in einem Land, das ihnen nicht gehörte. Und diese Fremden sollten etwas tun für ihr Aufenthaltsrecht. So geriet das Volk Israel in den Frondienst Ägyptens. Sie bauten mit an den Prestigebauten der Pharaonen – den Tempeln und Pyramiden.
Die Arbeit gab den Takt vor
Die Arbeit auf den riesigen Baustellen gab nun den Takt des Lebens vor. Die ägyptischen Aufseher steigerten das Arbeitstempo ins Unerträgliche. Und schliesslich griffen die Ägypter auch noch in das Privatleben ihrer Arbeiter ein. Sie untersagten den Israeliten männlichen Nachwuchs. Wollten so verhindern, dass das Volk noch grösser wird.
«Seitdem feiern wir Christen zur selben Zeit unser Fest der Befreiung: Ostern.»
In das Gedächtnis des Volkes Israel hat sich diese Zeit als Zeit der Knechtschaft eingebrannt. Als Zeit des Leidens und der Unfreiheit. Eine Zeit, so schlimm, dass deren Ende bis heute jedes Jahr gefeiert wird. Mit dem Passa-Fest. «Der Herr hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten, aus der Knechtschaft, geführt» (2. Mose 13, 14b). Dieser Satz ist eine Erinnerung und ein Bekenntnis. Bei jedem Fest wird er wiederholt. Über die Jahrtausende ist diese Erinnerung mächtig geblieben: Unser Gott hat uns frei gemacht. Er hat uns befreit von Qualen, Schinderei und menschen-
verachtenden Lebensverhältnissen. Er hat uns befreit zu einem Leben in seiner liebenden Obhut. Gott führt uns aus dem Dunkel.
Ostern, das Fest der Befreiung
Vor 2000 Jahren feierte Jesus mit seinen Jüngern das Passa-Fest. Kurz darauf geschahen Karfreitag und Ostern. Seitdem feiern wir Christen zur selben Zeit unser Fest der Befreiung: Ostern. Gott hat uns bewiesen, dass er sogar unsere letzte Unfreiheit – den Tod – von uns nehmen kann. Er will uns in seine Obhut nehmen, damit wir im Leben das loslassen können, was uns quält, kleinmacht und von Gottes Liebe trennt.
Text: Esther Marchlewitz, Pfarrerin, Rorschach | Bild: meka – Kirchenbote SG, April 2018
Ein Gott der Freiheit