Einschusslöcher sind passé
Der Kauf 1970 der Landparzelle an der Oberhaldenstrasse im Osten von St. Gallen durch die katholische und die evangelische Kirchgemeinde, die Einweihung der provisorischen Johanneskirche Halden fünf Jahre später oder die ein- bis zweijährlichen Treffen des Haldenforums, einer Art Landsgemeinde: Die wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der ökumenischen Gemeinde Halden passen auf ein A4-Blatt. Nachmittagsfüllend werden sie allerdings am 50-Jahr-Jubiläum im Juni sein.
Geschichte auf die Bühne bringen
«In einem Theater mit verschiedenen Szenen werden Laienschauspielerinnen und -schauspieler die Jahrzehnte nachspielen», sagt die evang.-ref. Pfarrerin Andrea Weinhold. Mit Pfarreisekretärin Christine Huber und zahlreichen Freiwilligen hat sie das dreitätige Jubiläumsprogramm vom 20. bis 22. Juni zusammengestellt. Es soll in erster Linie all jenen Menschen etwas zurückgeben, die sich für die Halden engagieren, sich mit dieser verbunden fühlen und dort eine Heimat haben. Nebst einem Theater gehören zum Programm unter anderem ein Abba-Chorkonzert, ein Kinderflohmarkt, eine Hüpfkirche, eine Festwirtschaft, ein Konzert der St. Galler Band Red Cube sowie ein Festgottesdienst mit Apéro.
Offener und toleranter
Das Wort Heimat fällt im Gespräch mit Christine Huber und Andrea Weinhold häufig. Und an diesem Dienstagvormittag sieht man auch, dass die Haldenkirche für viele ein Haus der offenen Türen ist: Im ersten Obergeschoss treffen sich Mütter, Väter sowie Grosseltern mit ihren Kindern und Enkelkindern zur Chrabbelgruppe. Aus einem anderen Raum klingt Musik. In der Kirche laufen die Vorbereitungen für einen Gottesdienst und draussen auf dem Vorplatz treffen immer mehr Personen ein. «Die Haldenkirche gehört zu den ältesten und in ihrer Art einzigartigen ökumenischen Gemeinden der Schweiz. In den Anfangsjahren war das für viele konfessionell gemischte Paare Grund, auch von weiter her in die Halden zu kommen», sagt Christine Huber. Von Beginn an sei dort vieles offener und toleranter als in anderen Pfarreien und Kirchgemeinden gewesen. Die Seelsorgenden hätten oft nicht gewusst, welches Kirchenmitglied nun katholisch und welches reformiert war, weil der Mensch und nicht seine Konfession im Zentrum gestanden habe und stehe.
Seit zwölf Jahren werden in der Halden nur noch ökumenische Gottesdienste gefeiert. «Auch wenn dieser Ansatz nicht mehr so revolutionär ist wie vor 50 Jahren, so zählen noch heute Personen von Abtwil über Rehetobel bis zum Bodensee zu unserer Gemeinde. Und kürzlich traf ich sogar eine Familie aus Bern bei uns an», sagt Weinhold. Huber ergänzt, dass sich ein Besuch in der Halden gerade für Personen, die aus St. Gallen weggezogen seien, oft wie ein Heimkommen anfühle.
Basis bringt sich ein
Ob Chrabbelgruppe, Nähcafé, Kindertageslager oder Gottesdienste aller Art: «Das Christentum lebt in der Begegnung und in der Beziehung. Das funktioniert nur, wenn sich die Basis einbringt und sie mitgestaltet», sagt Andrea Weinhold. Das Abba-Konzert am Jubiläumsfest sei beispielsweise eine Idee von Frauen und Chorsängerinnen aus dem Quartier gewesen. Zu den wichtigsten Formen des Sicheinbringens gehört aber das Haldenforum. An diesem kann teilnehmen, wer sich mit der Halden verbunden fühlt. Die Entscheide, die dort gefällt werden, werden in der Regel auch umgesetzt. Dazu gehört jener von 2013, in der Halden nur noch ökumenische Gottesdienste und zudem mit Gläubigen aus Hinduismus, Sikhismus, Islam und Christentum interreligiöse Gebete zu feiern. «Miteinander über die Konfessionen und Religionen hinweg zu beten verbindet unglaublich», sagt Andrea Weinhold.
Einschusslöcher und Graffiti
Heute eckt diese stark gelebte Ökumene kaum noch an. Anders war das in den Gründungsjahren. Graffiti an den Wänden und sogar Einschusslöcher im Dach der Kirche seien vorgekommen, erzählen Christine Huber und Andrea Weinhold. Davon habe sich in der Halden aber niemand beirren lassen. Im Gegenteil: Stets habe man sich für die Basis, das Miteinander und für Menschen mit Migrationshintergrund eingesetzt.
Auch finanziell lohnt sich die Ökumene. Die Verwaltung tragen die reformierte Kirchgemeinde Tablat und die katholische Kirchgemeinde St. Gallen zu gleichen Teilen. Dennoch stehen in Zukunft Sparmassnahmen an. Am Jubiläum soll davon allerdings keine Rede sein. «Wir wollen feiern und dankbar sein», sagt Weinhold. Huber fügt an: «Wir sind dankbar für die Wertschätzung unserer Kirchenmitglieder etwa in Form von Worten wie ‹In der Halden kann man sein, wie man eben ist› oder ‹Wenn es die Halden nicht gäbe, würde ich nicht in die Kirche gehen›.»
Jubiläumsprogramm: haldenstgallen.ch
Einschusslöcher sind passé