News aus dem Kanton St. Gallen
Kommentar

Sprechen statt stigmatisieren

von Stefan Degen
min
01.09.2025
Viele Menschen in der Schweiz haben Suizidgedanken. Wir müssen reden. ein Kommentar von Stefan Degen.

Der Prophet Elija ging in die Wüste, berichtet die Bibel, eine Tagesreise weit: «Und als er dort war, setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod.» Er hatte sich in seinem Leben verrannt, war verzweifelt, konnte nicht mehr. «Es ist genug, Herr, nimm mein Leben», sagte er und legte sich hin, wohl in Erwartung des nahen Todes.

Wie Elija geht es heute vielen Menschen. Rund acht Prozent der Schweizer Bevölkerung gaben in einer Umfrage von 2022 an, in den vergangenen zwei Wochen «Gedanken gehabt zu haben, dass man lieber tot wäre oder sich Leid zufügen möchte». Obschon die Suizidrate in der Schweiz seit Jahrzehnten tendenziell rückläufig ist, sind das erschreckende Zahlen.

Wirkungsvolle Massnahmen gegen Suizid, so zeigen Studien, sind oft simpel: Brücken absichern, den Zugang zu Schusswaffen und Medikamenten einschränken, Hinweistafeln der Dargebotenen Hand anbringen. Denn meist ist der Todeswunsch vorübergehend, eine Verzweiflungstat in einer scheinbar ausweglosen Situation. Eine Tat, die man später bereut, wie Überlebende berichten. Ein eingeschränkter Zugang zu Mitteln zur Selbsttötung bedeutet weniger Suizide.

Doch es braucht noch mehr: Wir alle, Sie und ich, sollten miteinander über das Thema sprechen. Denn entgegen der landläufigen Meinung verstärkt es das Suizidrisiko nicht, wenn man jemanden auf mögliche Suizidabsichten anspricht. Und Angehörige von Menschen, die sich das Leben genommen haben, berichten davon, wie sie von ihrem Umfeld gemieden werden – wohl aus Überforderung. Eine Stigmatisierung, die sie zusätzlich belastet.

Leider kommt nicht zu allen Menschen ein Engel wie zum Propheten Elija. Denn seine Geschichte ging weiter. Als er in Todeserwartung unter dem Ginsterstrauch in der Wüste lag, berührte ihn ein Engel und sagte: «Steh auf und iss.» Da waren ein Brot und ein Krug Wasser.

Hilfe bei Suizidgedanken

Jugendliche: Tel. 147, www.147.ch
Erwachsene: Tel. 143, www.143.ch

Verein Trauernetz: Tel. 079 270 10 10
www.trauernetz.ch

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