«Die St. Galler Kirche ist zurückhaltend mit Abstimmungsempfehlungen»
Herr Schmidt, warum befürworten Sie die KVI?
Martin Schmidt: Ich bin der Meinung, dass wir uns alle für eine menschenwürdige und gerechte Welt einsetzen müssen. Unsere christlichen Hilfswerke und die staatliche Entwicklungshilfe sorgen schon seit Jahren dafür, dass Menschen vor Ort gut leben können. Gerade auch im Blick auf die Migration sollten wir darauf achten, dass Menschen in ihrer Heimat lebenswerte Bedingungen vorfinden. Wenn dann unsere «eigenen» Firmen teilweise verhindern, dass das geschieht, ist das kontraproduktiv.
Welche Rolle spielt der christliche Glaube in Ihrer Haltung zur Konzernverantwortungsinitiative?
Schmidt: Ich glaube, dass Gott Mensch geworden ist, damit es in dieser Welt menschlicher wird. Daher setzen wir uns ein für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Der Glaube und die Kirchen sind nicht nur für das persönliche Seelenheil zuständig, sondern damit wir uns dafür engagieren, dass es in dieser Gesellschaft christlich, menschenwürdig und gerecht zu- und hergeht. Mein Glaube fordert mich auf, mich in dieser Welt für gerechte Strukturen einzusetzen.
Weshalb sollen Kirchen in diesem Fall politisch Position beziehen?
Schmidt: Die St. Galler Kirche ist in der Regel zurückhaltend mit politischen Stellungnahmen und mit Abstimmungsempfehlungen. Aber grundsätzlich sind wir als Landeskirche vom Staat aufgefordert, am Wohl in der Gesellschaft mitzuwirken und uns einzubringen. Der Bettag ist ein Symbol dafür. Wir engagieren uns mit dem Staat in den Bereichen der Bildung, der Seelsorge, des Sozialdienstes und vielen Bereichen mehr. Und politisch sein heisst ja, sich für die «polis», also für die Gesellschaft, einzusetzen. Das hört an den Kirchenmauern nicht auf.
Haben wir das Recht, uns in das Rechtssystem beziehungsweise Angelegenheiten fremder Staaten einzumischen?
Schmidt: In einer globalisierten Welt hören die Gesetze und die Regeln nicht einfach an den Landesgrenzen auf. Globales Wirtschaften erfordert auch globale Verantwortung. Ich halte es für unmoralisch und unchristlich, so zu tun, als könnte ich meine Überzeugungen an den Grenzen ablegen. Menschenrechte und Menschenwürde sind global und weltweit einzuhalten und nicht dem Profit unterzuordnen.
Können Sie auch mit dem Gegenvorschlag leben, der die Haftung der Konzerne für Tochterunternehmen ausschliesst?
Schmidt: Wir hatten als Kirchen auf einen guten Gegenvorschlag gehofft. Der jetzige ist «zahnlos» und wenig erfolgversprechend. Er fordert, dass Konzerne einmal im Jahr über Menschenrechte und Umwelt berichten müssen – oder aber erklären können, wieso sie dies nicht tun wollen. Ausgewählte Unternehmen müssen zudem eine Sorgfaltsprüfung, bezogen auf Kinderarbeit und Konfliktmineralien, durchführen. Diese Regelung enthält keine Sanktionen. Das ist wie Schwarzfahren ohne Bussenandrohung.
An Kirchen prangen Transparente für die KVI. Die Gegner sind nicht vertreten. Werden Sie vor den Kopf gestossen?
Schmidt: Es ist richtig, dass die Meinungen in der Kirche genauso auseinandergehen wie die in der Gesellschaft. Daher bin ich für dialogische Formen der Meinungsäusserung, der politischen Gespräche und Auseinandersetzungen. Ich würde z.B. Gottesdienste und Predigten nicht für Positionierungen verwenden, da dort keine Möglichkeit zum Dialog besteht. Auch Fahnen und Banner an Kirchtürmen finde ich schwierig. Sehr wohl halte ich aber Infostände, Podiumsdiskussionen nach einem Gottesdienst, Strassenaktionen, Flyer etc. für zielführend.
Fürchten Sie bei Annahme der KVI Kirchenaustritte namhafter Unternehmer und damit Geldgeber der Kirche?
Schmidt: Es ist möglich, dass das passiert. Aber ich kann ja meine Überzeugung oder einen Entscheid des Kirchenrates nicht abhängig machen von einer Drohkulisse möglicher Austritte. Martin Luther hat einmal gesagt: «Hier stehe ich, ich kann nicht anders!» Zudem gibt es inzwischen Komitees bis weit in die bürgerlichen Kreise und auch aus der Wirtschaft, die die KVI unterstützen. Auch kenne ich viele Wirtschaftsleute, die dafür sind, weil ihnen das Image des Profitstrebens, «das über Leichen geht», auch leid ist.
Worauf verzichten Sie persönlich in Ihrem Alltag, weil das Produkt unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt wird?
Schmidt: Ich achte genau darauf, wo etwas produziert wird. Und es ist ja nicht so, dass ich auf etwas verzichten müsste, ich muss möglicherweise bereit sein, mehr dafür zu bezahlen. Von daher sind die Argumente in der KVI ja nicht neu. Wie erwähnt, haben die Kirchen und Hilfswerke schon seit Langem Gerechtigkeit angemahnt, z.B. beim Landgrabbing, Umweltschutz oder bei Kinderarbeit. Neu ist, dass neben Appellen und Boykotten die Verursacher nun stärker in den Blick kommen und Haftung dafür ein Thema ist.
Hier geht es zum Interview mit Ulrich Knoepfel, Glarner Kirchenratspräsident und Gegner der KVI.
Interview: Katharina Meier / Stefan Degen | Foto: Andreas Ackermann – Kirchenbote SG, November 2020
«Die St. Galler Kirche ist zurückhaltend mit Abstimmungsempfehlungen»