Über 300 Millionen Christen verfolgt
Schon die ersten christlichen Gemeinden waren Verfolgung ausgesetzt. Denn das frühe Christentum stand in Konkurrenz zum römischen Kaiserkult. Davon zeugt das letzte Buch der Bibel, die Johannesapokalypse, eine verklausulierte Ermutigungsschrift an verfolgte Gemeinden: «Wer in Gefangenschaft gerät, zieht fort in die Gefangenschaft. Wer durch das Schwert fallen muss, wird durch das Schwert fallen. Hier ist von den Heiligen Standhaftigkeit und Glaube gefordert.»
Eine der brutalsten Terrorgruppen Afrikas beruft sich auf die Bibel und die Zehn Gebote.
Im 4. Jh. aber wendete sich das Blatt: Unter Kaiser Konstantin wurden die Christen erst toleriert, dann privilegiert. Später wurde das Christentum Staatsreligion des römischen Reiches. Nichtchristliche Religionen wurden nun bekämpft. Aus den Verfolgten waren Verfolger geworden.
Opfer und Täter
In der langen Geschichte religiöser Konflikte lassen sich Täter und Opfer nicht immer auseinanderhalten – und schon gar nicht einzelnen Religionen zuordnen. So hetzen in Myanmar buddhistische Mönche gegen die muslimischen Rohingya. In Tibet werden Buddhisten vom chinesischen Staat unterdrückt. Wer sich in Saudiarabien öffentlich zum Atheismus bekennt, wird verfolgt. Auch im Namen des christlichen Gottes werden Untaten begangen: Die «Lord’s Resistance Army», eine der brutalsten Terrorgruppen Afrikas, beruft sich auf die Bibel und die Zehn Gebote. Religionen und Ideologien aller Couleur lassen sich instrumentalisieren und müssen als Rechtfertigung für Grausamkeiten herhalten.
Die UNO-Generalversammlung hielt 1948 das Recht auf Religionsfreiheit in der Menschenrechtserklärung fest. Dieses Recht umfasse die Freiheit, «seine Religion zu wechseln und allein oder in Gemeinschaft mit anderen in der Öffentlichkeit oder privat durch Gottesdienst zu bekunden».
Eingesperrt, gefoltert, getötet
Mit der Umsetzung der Menschenrechtserklärung hapert es bis heute – Christenverfolgung hat viele Facetten: Kinder erhalten wegen des Glaubens ihrer Eltern keine Schulbildung. Der Bau von Kirchen wird verboten, private Treffen werden untersagt. Wer seine Religion wechselt, wird gesetzlich verfolgt und gesellschaftlich geächtet. Christen werden eingesperrt, gefoltert und getötet.
Systematisch untersucht wird die Christenverfolgung durch Open Doors. Das überkonfessionelle Hilfswerk hat sich einen Namen gemacht durch den jährlichen Weltverfolgungsindex, der Christenverfolgung dokumentiert. Er basiert auf der Befragung von Mitarbeitern und Kontaktpersonen in rund 60 Ländern. Laut Open Doors bilden Christen heute die grösste aus Glaubensgründen verfolgte Religionsgemeinschaft. Über 300 Millionen Christen würden wegen ihres Glaubens stark verfolgt und diskriminiert.
Digitale Überwachung in China
Im neusten Report listet Open Doors aktuelle Entwicklungen auf. Zugenommen habe die Gewalt gegen Christen durch dschihadistische Milizen in der Subsahara, etwa in Nigeria und Mali. Die Milizen plündern Dörfer, vertreiben Menschen und zerstören Kirchen.
Kameras und automatische Gesichtserkennung sind an ein Punktesystem zur ideologischen Bewertung der Bevölkerung gekoppelt.
Eine weitere Ursache zunehmender Christenverfolgung liegt gemäss Report in religiösem Nationalismus, beispielsweise in Indien. Christen werden dort im täglichen Leben benachteiligt und von hindu-extremistischen Volksmengen bedroht.
Eine bedrohliche Entwicklung ist laut Open Doors in China im Gange. Kameras und automatische Gesichtserkennung seien allgegenwärtig und an ein Punktesystem zur ideologischen Bewertung der Bevölkerung gekoppelt. Religionszugehörigkeit führe zu Minuspunkten und systematischer Benachteiligung.
Text: Stefan Degen | Foto: Nadeem Khawer, Keystone-SDA – Kirchenbote SG, November 2021
Über 300 Millionen Christen verfolgt