Der Tod ist etwas Heiliges
Wenn Andrea Gabriela Durisch Bohne zu einem Sterbebegleitungseinsatz gerufen wird, legt sie sich daheim in der Stube erst eine gute Stunde hin. «Ich schliesse die Augen und suche meinen Ruhepunkt.»
Seit 2008 ist die 54-Jährige in der Sterbebegleitung tätig. Die Einsätze erfolgen in Altersheimen, im Spital und privat. Durisch Bohne hat eine langjährige Karriere als Pflegefachfrau und OP-Schwester hinter sich. Heute arbeitet sie als selbständige Craniotherapeutin, auch mit schwerkranken und trauernden Menschen, was sie zur Sterbebegleitung brachte. Im Wohnort Flawil wirkt sie auch in der Hospizgruppe mit.
«Die Krankenpflege ist meist erledigt, wenn ich komme. Darin liegt der Grund für diese Arbeit. In der Pflege ist es kaum möglich, länger bei einem Sterbenden zu sitzen. Das vermisste ich.» Durisch Bohne verbrachte in den letzten Jahren monatlich etwa eine Nacht an einem Sterbebett. «Die Einsätze sind nicht planbar. Manchmal ist man mehrmals in kurzer Zeit im Einsatz, dann wochenlang nicht.» Ein Einsatz dauert bis zu acht Stunden.
Im Allgemeinen kennt sie Name, Familiensituation, Alter, Krankheit und den aktuellen Zustand des Patienten. In Privathäusern steht sie erst mit den Angehörigen in Kontakt. Sie klärt ab, ob und wann sie sie wecken soll und was der Kranke wünschen könnte.
Sterben ist ein Kraftakt
«Offene Aufmerksamkeit, Mitgefühl und achtsame Wertschätzung ist das Wichtigste bei dieser Arbeit», sagt Durisch Bohne. Wenn der oder die Kranke sprechen kann, fragt sie, was er oder sie braucht. «Oft muss ich spüren, wo und wie mein Dasein nötig ist – nah am Bett, weiter weg oder gar gut erreichbar vor dem Zimmer. Auch der Körperkontakt wird abgeklärt, still oder mit Worten. Manchmal hält man dem Sterbenen einfach stundenlang die Hand.»
«Generell brauchen Sterbende viel inneren und äusseren Raum», sagt die Fachfrau. Dann geht es darum, mit dem Patienten herauszufinden, wie er mehr Ruhe finden kann. Manchmal geht es um körperliche Erleichterung. Magenkrämpfe löste Durisch Bohne einmal mit einer leichten Massage, bis die Frau zur Ruhe kam und schlafen konnte. Die haptische Arbeit ist für die Therapeutin wichtig. «Nicht alle haben das gleiche Angebot. Die verschiedenen Möglichkeiten der Sterbebegleiter sind wertvoll.»
Die Kräfte ziehen sich zurück
Mal liest man dem Kranken etwas vor. Oder redet mit ihm, singt ein Lied. Auch Humor ist wichtig. «Die letzte Lebensphase soll davon gezeichnet sein, was das Leben für diese Person ausmacht.» Und mitunter ist dem Patienten keine Lage wohl – nicht im Bett, nicht beim Gehen, nicht auf der Toilette. «Sterben», sagt Durisch Bohne, «erfordert sehr viel Kraft. Beim Sterben ziehen sich die Lebenskräfte endgültig zurück. Man leidet an Schmerzen und Müdigkeit, Essen und Atmen fallen schwer. Dazu muss man mit sich ins Reine gelangen, das Leben abschliessen und akzeptieren, dass der Lebensausgang immer näher rückt.»
Verdichtung ins Innere
Beim Tod trete plötzlich eine Stille ein. «Sie besitzt eine Tiefe, die ich nur als heilig beschreiben kann.» Es sei «eine Verdichtung des Äusseren in das Innere». Das sind Augenblicke in denen der Lichtaspekt unseres Wesens ganz stark erfassbar wird», sagt sie. Nur selten – wenn sie jemanden privat kannte – wohnt sie der Beerdigung bei. «Ein schöner Abschluss ist für mich, wenn die Angehörigen Zufriedenheit bekunden.»
cranio-rhythmus.ch; palliative-ostschweiz.ch
Text: Michael Walther, Flawil | Foto: z.Vg – Kirchenbote SG, November 2015
Der Tod ist etwas Heiliges