Geht «spiritueller Nährboden» verloren?
In der Offene Kirche St. Gallen fanden und finden während Jahren niederschwellige Anlässe und Projekte unter dem Motto «Weltoffenheit und Dialog» statt. Voraussichtlich 2024 wird die Kirche wegen eines Neubaus der HSG abgerissen. Der Verein «WirkRaumKirche» betreibt sie. Seine Hauptträger sind die katholische Kirchgemeinde, die drei städtischen reformierten Kirchgemeinden Straubenzell, Tablat und Centrum sowie die christkatholische Kirche.
«Katholiken drehen Geldhahn zu»
Doch nun «drehen Katholiken den Geldhahn zu», wie das «St. Galler Tagblatt» schreibt. Die katholische Kirche will die Zuschüsse Ende 2022 stoppen. «Wir wollen das Geld künftig umlenken in andere, ebenfalls ökumenische Projekte mit ähnlicher Stossrichtung», sagt Armin Bossart, Verwaltungsratspräsident der Kath. Kirchgemeinde der Stadt St. Gallen. «Es gab mit den andern Trägern viele Gespräche zum Entwicklungspotenzial des Vereins ‹Wirk-
RaumKirche›. Wir kamen zum Schluss, dass wir die Prioritäten etwas verschieben wollen, weg vom eher Statischen hin zu mehr projektbezogener Arbeit», so Bossart.
«Der Ausstieg der katholischen Kirchgemeinde hat den Vorstand betroffen gemacht, ja bis zu einem gewissen Grad überrumpelt»
Er geht davon aus, dass der Verein «WirkRaumKirche» die Offene Kirche auch so noch bis zum Abbruch weiterbetreiben kann. «Durch das Geld, welches in früheren Jahren eingeschossen wurde, verfügt der Verein über ein stattliches Vermögen.» Laut Bossart könnte auch ein weiteres Projekt des «WirkRaums», das «Stattkloster», weiterlaufen. «Es ist ein faszinierendes Projekt, das allerdings noch nicht ganz zum Fliegen gekommen ist.» Dass die ökumenische Zusammenarbeit in anderer Form weitergeführt werden soll, darüber bestehe ein Konsens, so Bossart.
«Konzept hat sich überlebt»
Das ursprüngliche Konzept von «WirkRaumKirche» habe sich überlebt, sagt Christian Kind, Präsident der Ref. Kirchgemeinde St. Gallen Centrum, die sich ebenfalls finanziell am «WirkRaum» beteiligt. Darüber seien sich viele einig. Klar ist für ihn, dass die Offene Kirche noch bis zu ihrem Abriss weiterbetrieben werden sollte. Nach Einschätzung Kinds hat die ökumenische Zusammenarbeit zwischen «WirkRaum» und der von katholischer Seite betriebenen Cityseelsorge nicht immer optimal funktioniert. Dies aus strukturellen, aber auch menschlichen Gründen. Mittlerweile seien stimmigere Projekte mit direkter Beteiligung von katholischer und reformierter Seite entstanden, wie etwa die Corona-Bibel.
«Der Ausstieg der katholischen Kirchgemeinde hat den Vorstand betroffen gemacht, ja bis zu einem gewissen Grad überrumpelt», erklärt Daniel Konrad, Präsident des Vereins «WirkRaumKirche» auf Anfrage. Er erzählt von mehrfachen Versuchen, den «WirkRaum» und das Projekt «Stattkloster» in kritisierten Punkten zu revidieren. Diese hätten aber nichts gefruchtet. Die Mittel auf andere Arbeitsfelder umzulenken sei seitens katholischer Kirche denn auch bereits beschlossene Sache gewesen. Die Cityseelsorge und «WirkRaumKirche» haben laut Konrad teilweise andere Zielgruppen. Ihr Selbstverständnis und ihre Ausrichtung seien unterschiedlich. Wohl deshalb hätten sie nicht harmoniert, meint Konrad.
Kirchenferne verlieren Ort
«Letztlich lässt der Ausstieg eine Vision scheitern. Was mich stört, ist nicht die Notwendigkeit von Veränderungen, sondern dass man nicht vorher über diese sprechen konnte, bevor es vollendete Tatsachen gab», so Konrad. Es gehe auch um mehrere angestellte Personen, die um ihre Jobs bangen müssen.
Wie die Koordinatorin für die Offene Kirche beim «WirkRaum» und Kirchenrätin der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen, Annina Policante, gegenüber dem «St.Galler Tagblatt» sagte, wird mit der Offenen Kirche eine Art «spiritueller Nährboden» verloren gehen – ein Ort also, der eher kirchenferne Menschen anspricht. Auch für sie brauche es «frische, unkonventionelle Angebote». Laut Policante sind 2021 rund 9000 Menschen aus verschiedensten Nationen in der Offenen Kirche ein und aus gegangen. Dies sei im Grunde genommen die Idee der Ökumene: gemeinsam zu suchen, was einander verbinde, miteinander Religion zu erfahren. Dazu gehöre auch, Unterschiede stehen lassen zu können, so Policante.
Text: Ueli Abt, kath.ch/meka | Foto: Archiv Kibo SG – Kirchenbote SG, Februar 2022
Geht «spiritueller Nährboden» verloren?