News aus dem Kanton St. Gallen

Eine Frauenfreundschaft

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01.01.2016
Beziehungen zwischen Frauen existieren für die Theologie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht. Sie kommen nur gelegentlich vor.

Als ich in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts meine Doktorarbeit schrieb, habe ich ungefähr 8000 Seiten Theologische Ethik aus den Jahren 1949 bis 1989 gelesen. Ich wollte wissen, wen Theologen meinen, wenn sie «der Mensch» sagen. Ich fand heraus: sie meinen erwachsene weisse Männer. Frauen kommen zwar gelegentlich vor: als Menschenwesen, die sich ausschliesslich um Männer und Kinder kümmern. Beziehungen zwischen ­Frauen aber existieren für die Theologie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht.

Freundschaft der Schwangeren
Auch in der Bibel sind Frauenfreundschaften, auf den ersten Blick, kein grosses Thema. Könige, Priester, Propheten, Richter und ihre diversen Händel scheinen wichtiger zu sein. Wer genauer hinschaut, entdeckt allerdings, dass in der Bibel ein interessantes Prinzip wirkt: Der Rand ist meistens wichtiger als die vermeintliche Mitte. Zum Beispiel wird der Heiland nicht in Jerusalem und schon gar nicht in Rom geboren, sondern im unscheinbaren Dorf Betlehem. Qualität ist wichtiger als Quantität. Was sich später als wesentlich herausstellt, geschieht gerade nicht dort, wo alle hinschauen: nicht im Krieg, sondern zum Beispiel in der friedlichen Begegnung einer jungen mit einer alten Frau, beide unerwartet schwanger, beide bedürftig nach Austausch und Bestärkung. 

« … Maria wanderte eilig durch das Gebirge in eine Stadt Judäas. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüsste Elisabet. Und als Elisabet den Gruss Marias hörte, da hüpfte das Kleine in Ihrem Bauch … » (Lukas 1, 39b–41a, BigS)
Die Geburt des Magnificat Maria ist jung und unerfahren. Trotzdem macht sie sich, anscheinend alleine, auf den Weg von Nazaret ins judäische Bergland. Das sind mindestens sechzig Kilometer. Gerade hat sie von ihrer Schwangerschaft erfahren. Warum sie ausgerechnet ihre Verwandte Elisabet besuchen will, erfahren wir nicht. Maria weiss allerdings, dass auch die viel ältere, bisher kinderlose Frau ein Kind erwartet. Vielleicht will sie ihr deshalb, wie man so schön sagt, «ihr Herz ausschütten»: Wie soll sie sich verhalten? Ihrer Familie, ihrem Dorf, ihrem Verlobten Josef gegenüber? Was soll sie tun mit der Angst vor Fehlgeburt, vor Ablehnung, vor übler Nachrede? – Elisabet scheint aber erstmal keine Lust zu haben, Probleme zu wälzen. Sie freut sich einfach: über den Besuch, über das gemeinsame Thema. So sehr freut sie sich, dass das Kind in ihrem Bauch herumspringt. So gross ist die Begeisterung der Älteren, dass sie Maria zu einer Theologie inspiriert, die Ihresgleichen sucht: Das «Magnificat» ist geboren. Aus der Begegnung zweier Frauen, die einander suchen, entsteht einer der schönsten Lobpsalmen der Bibel. Darin erkennt Maria, dass jede Geburt ein Neuanfang ist, aus dem eine heilvolle Revolution werden kann. Die Welt wird ihrer gedenken.

Ich bin inzwischen in einem Alter angekommen, in dem mir beides vertraut ist: das Gespräch als jüngere Frau mit einer älteren, die schon mehr Erfahrungen gesammelt hat als ich. Und die Zuwendung als ältere Frau zur jüngeren, die meinen Rat sucht. Und noch immer kann aus solchen freundschaftlichen Begegnungen Grosses wachsen: Inspiration, Bewegung, überraschend gute Zukunft. 

Text: Ina Prätorius, Wattwil | Foto: as   – Kirchenbote SG Juni / Juli 2015

 

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