News aus dem Kanton St. Gallen

«Ich spüre, wen ich bei der Hand nehmen darf»

von Andrea Kobler, Journalistin, Marbach
min
25.06.2025
Im Arbeitsalltag wird kaum über Berührungen gesprochen. Doch Pflegefachfrau Silvia Giger weiss genau, was es heisst, zu berühren und berührt zu werden. Sie ist überzeugt: «Ohne Berührungen geht es in der Pflege nicht.»

Berührungen sind essenziell – für Entspannung, Bindung und das seelische Gleichgewicht in allen Lebensphasen. Silvia Giger erlebt das täglich in ihrer Arbeit mit demenzkranken Menschen im Pflegeheim Werdenberg. «Es ist wichtig, jemandem die Hand zu geben oder sie beruhigend auf die Schulter zu legen. Ohne Berührungen funktioniert Pflege nicht», sagt sie. Entscheidend sei, dass Berührungen bewusst geschehen: «Ich konzentriere mich ganz auf das Berühren, damit es bei meinem Gegenüber ankommt.» Wird eine Berührung abgelehnt, müsse das respektiert werden: «Mit der Zeit spüre ich, wen ich bei der Hand nehmen darf – und wen nicht.»

Menschen mit Demenz betreuen

An diesem Tag hat Silvia Giger frei. Sie sitzt im Garten ihres abgelegenen Hauses hoch über dem Tal, trinkt Kaffee und isst ein Stück selbst gebackenen Mohnzopf. In der Ferne ist ihr Arbeitsplatz zu sehen – das Pflegeheim Werdenberg, am Rande der Gemeinde Grabs.

Berühren tröstet, gibt Orientierung und Schutz

In der Surselva aufgewachsen, wusste Silvia Giger früh, dass sie in der Pflege tätig sein möchte. Vor 25 Jahren ergänzte sie ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau mit einem Studium der Sozialpädagogik, um damit ihre sozialen Kompetenzen zu vertiefen. Im Laufe der Jahre betreute sie Kinder und Erwachsene mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung, seit fünf Jahren demenzkranke Menschen. Die Arbeit erfüllt sie.

Berührungen geben halt

Silvia Giger unterstützt ihre Bewohnerinnen und Bewohner unter anderem bei der alltäglichen Körperpflege: «Wenn ich jemandem den Rücken wasche, abtrockne oder einöle, kommt ab und an ein ‹Das tut gut›. So erfahre ich, dass die Berührung wohltuend erlebt wird.» Regelmässig massiert sie im Rahmen einer Aromatherapie Hände oder Füsse – ein Ritual, das entspannt und zentriert. «In unruhigen Momenten, wenn jemand unbedingt ‹nach Hause› möchte oder sich in einer anderen, besonders schwierigen Situation befindet, helfen solche Berührungen oft. Berühren tröstet, gibt Orientierung und Schutz», erzählt Silvia Giger aus ihren Erfahrungen.

Im Gegensatz zu anderen Heimbewohnern ziehen sich Menschen mit Demenz selten in ihre Zimmer zurück. In zwei Wohngruppen leben im Pflegeheim Werdenberg je elf Personen, die sich gegenseitig besuchen oder sich im Garten treffen können. Sie verbringen den Alltag gemeinsam: Sie decken den Tisch, falten Wäsche, lösen Kreuzworträtsel, malen Mandalas oder lesen Zeitung. Es wird gesungen, getanzt, die Hauskatze gestreichelt. Angehörige oder eine Besucherin mit Hund schauen vorbei und sorgen damit für Abwechslung.

Plötzlich begann die Frau zu beten

Silvia Giger ist überzeugt, dass berührt werden zum Wohlbefinden und zur Zufriedenheit des Menschen beiträgt und mehr ist als blosser Hautkontakt: «Es bereichert unser Leben und gibt ein inneres Gleichgewicht. Ein Blickkontakt, ein Lächeln, ein ehrliches Kompliment – all das kann seelisch berühren.»

Besonders nahe ging ihr die Begegnung mit einer Bewohnerin, die plötzlich zu beten begann: «Gott, gib Acht auf diese junge Frau. Gib ihr Kraft, damit sie sich um uns kümmern kann.» Die Pflegefachfrau war gerührt und dankbar.

Heute wird Silvia Giger die Blumen in ihrem Garten geniessen. Oder ein Buch lesen. Morgen kehrt sie mit neuer Kraft zu ihrer Arbeit zurück – offen für neue Berührungen.

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