News aus dem Kanton St. Gallen

Immer mit dem Roller unterwegs im Dorf

von Stefan Degen
min
28.04.2024
In Grabs-Gams leben Menschen mit Beeinträchtigung mitten unter der Bevölkerung, dank dem Lukashaus und seiner Vernetzung im Dorf. Einer der Bewohner ist Hansruedi Hollenstein, der mit Pfarrer Martin Frey seit dessen Amtsantritt befreundet ist.

Martin Frey erinnert sich gut an ihre erste Begegnung: «Du hast geklingelt und nach einem Kaffee gefragt», erzählt der Pfarrer. «Ja, das Kirchgemeindehaus war zu», bestätigt Hansruedi Hollenstein. So lernte ihn Frey vor 15 Jahren kennen, als er frisch nach Grabs-Gams gekommen war – und mit ihm auch ein Stück des Dorfes. Denn Hansruedi Hollenstein ist in Grabs-Gams eine Institution. «Ich kenne alle», sagt er. Und alle kennen ihn.

Hansruedi Hollenstein lebt in einer Wohnung des Lukashauses. Dieses wurde 1846 als «Werdenbergische Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder» gegründet. Zweck und Name der Institution wechselten seither mehrfach, auch die Haltung gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern änderte sich. Seit 1952 heisst sie Lukashaus – Namensgeber ist der Evangelist. Das Angebot richtet sich heute an erwachsene Menschen mit mehrfacher Behinderung. Das Lukashaus bietet begleitetes Wohnen, Arbeits- und Beschäftigungsplätze an.

Mithilfe im Gottesdienst

Auf Hollensteins Besuch im Pfarrhaus vor 15 Jahren folgten weitere. So ist eine Freundschaft entstanden. «Du kommst manchmal am Samstag vorbei, um zu fragen, wann am Sonntag der Gottesdienst stattfindet», schmunzelt Martin Frey. Denn Hansruedi Hollenstein besucht den Gottesdienst in der Reformierten Kirche oft und hilft jeweils gleich mit, die Sitzkissen auf den harten Kirchbänken zu verteilen. Was gefällt ihm an den Gottesdiensten besonders gut? «Wenn Kinder getauft werden», sagt Hollenstein und strahlt.

Man kennt sich, man schwatzt miteinander, man gehört zusammen

Hansruedi Hollenstein ist nicht der einzige Bewohner des Lukashauses, der in der Kirchgemeinde mitmacht. Ein anderer war in die Jugendgruppe eingebunden. «Er fühlte sich wohl in der Gruppe und die Jugendlichen hatten ihn gern», erinnert sich Frey. Gelegentlich gibt es auch ökumenische Gottesdienste, zu dem die Bewohnerinnen und Bewohner des Lukashauses etwas beitragen, indem sie etwa ein Bild mitbringen oder mit ihrer Band Musik machen. «Die Atmosphäre in diesen Gottesdiensten ist lockerer und fröhlicher als sonst», findet Pfarrer Frey, was die ganze Gemeinde schätze.

Kirche verschenkte Lamas

Dass das Lukashaus gut vernetzt ist, verrät ein Blick auf die Dorfkarte. Mehr als 20 Wohnungen der Institution verteilen sich auf Grabs und Gams. Die Menschen des Lukashauses leben buchstäblich mitten unter der Bevölkerung. «Man kennt sich, man schwatzt miteinander, man gehört zusammen», beschreibt Frey das Verhältnis. «Hansruedi zum Beispiel ist immer mit dem Roller im Dorf unterwegs.»

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Lukashauses und ihre Träume. Darin zu sehen auch Hansruedi Hollenstein und seine Freundin Irene.

 

Hansruedi Hollenstein, der vor 30 Jahren ins Lukashaus kam, lebt mit zwei Mitbewohnern in einer Wohnung. Mit seinem Roller besucht er seine Partnerin, die ebenfalls in einer Wohnung des Lukashauses lebt, oder fährt zur Arbeit in den institutionseigenen Betrieben. Am liebsten aber kümmert er sich um die Lamas. Eines von ihnen war ein Geschenk der Reformierten und Katholischen Kirche zum 175-jährigen Jubiläum des Lukashauses. Hansruedi Hollenstein durfte es damals in Empfang nehmen und hat die Tiere ins Herz geschlossen: «Sie sind lieb und spucken nicht», räumt er mit dem Klischee auf.

Christlicher Geist spürbar

Das Lukashaus ist heute konfessionell und religiös offen. «Man spürt aber, dass der christliche Glaube immer noch eine wertvolle Ressource ist», sagt Martin Frey, «und zwar im Lukashaus und in der Dorfbevölkerung.» Das zeige sich zum Beispiel darin, dass Leute von der Kirchgemeinde sich im Lukashaus engagierten, sei es im Vorstand oder als Mitarbeiterinnen. «Der christliche Leitgedanke ist uns wichtig», steht denn auch im Leitbild der Lukashausstiftung. «Dass dieser Geist noch weiterlebt trägt mit dazu bei, dass das Lukashaus und seine Menschen gut integriert sind im Dorf», sagt Frey.

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