Schweren Ballast abwerfen, frei sein
«Nach den letzten Schritten zur Alphütte den Rucksack seitlich abstreifen und fallen lassen, die Trinkflasche aus dem Rucksack ziehen, ah, das tut gut! – Nach einer erschreckenden Prognose und beklemmender Angst kommt die Bestätigung des Arztes: «Wir haben alles entfernen können. Sie sind wieder gesund.» – Nach vielen Monaten intensiven Lernens, Gruppenarbeiten, Analysen, Präsentationen das Warten auf das Resultat. Du hast die Prüfung bestanden! – Wir und unsere Angehörigen erleben in solchen Situationen das Gefühl der Erleichterung, der Befreiung.
Freiheit als Frucht der Reformation
Ballast abwerfen ist oft verbunden mit einem langen Weg auf ein Ziel hin. Lange glaubten wir – und glauben es zum Teil heute noch –, Freiheit müsse verdient werden.
Die Freiheit ist eine Frucht der Reformation. Nächstes Jahr feiern wir 500 Jahre Reformation. Bildung und Möglichkeiten der Mitsprache verbreiteten sich rasant. Ich darf mir selber ein Urteil bilden. Ich darf überlegen und abwägen. Mir stehen zahllose Informationen zur Verfügung. Die geistige Freiheit hat uns befreit von religions- oder machtpolitisch motivierter Einschränkung. Während Jahrhunderten blieb die Erde eine Scheibe. Heute dürfen wir fast alles untersuchen und ausprobieren. Wir sind als Menschen so frei, dass wir uns selber ein- schränken müssen vor unserer Selbstüberschätzung.
Will Gott freie Menschen?
Ist die Freiheit des Geistes grenzenlos? Will Gott so freie Menschen? Ja, er will; solange wir treu mit ihm wachsen. Und wir sollten diese Freiheit als Protestanten auch verantwortlich nutzen: privat und politisch. Der christliche Glaube macht uns Befreiungsangebote. Gratis.
Für uns taktisch denkende und handelnde Individuen ist es schwierig, zu akzeptieren, dass die Beziehung zu Gott nicht durch Leistung erkämpft werden muss, sondern in unverstellter und vertrauensvoller Offenheit erlebbar wird. So werden wir befreit von uns selbst, von unseren unlauteren Absichten, von unserer Selbsteinschränkung. «Gnade» nennen wir dieses Angebot, welches einzig in der Glaubensbeziehung eingelöst werden kann.
Beten und Mitmenschliches erspüren
Politisch gesehen sind wir ein Teil einer Gesellschaft, in der wir Verantwortung tragen. Geistlich sind wir Teil einer Beziehung, die sich als Gemeinschaft oder Gemeinde formt. Deshalb ist es gut, am eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag nur die Beziehung von Dir, dreifaltigem Gott, zu mir als individuellem Geschöpf nachzubeten – um daraus Mitmenschliches zu erspüren.
Text: Heiner Graf | Foto: Katharina Meier – Kirchenbote SG, September 2016
Schweren Ballast abwerfen, frei sein