Weihnachtszeit, Wichtelzeit
Wenn Anfang Dezember in der Schweiz der Adventsglanz die Einkaufszentren überzieht, erscheint in den Regalen der Migros eine Figur, die dem Samichlaus längst Konkurrenz macht: der Weihnachtswichtel. Ein kleiner, orange behelmter Zipfelträger mit schelmischem Blick und geschäftiger Ausstrahlung. Eine Werbefigur, gewiss – doch eine, die mit ihrem treuherzigen Hundeblick die Herzen der Kunden erobert.
Der aktuelle Finn-Clip (mehr Clips weiter unten):
Wichtel Finn trat 2017 erstmals als Werbeträger für die Migros auf – mit Erfolg. Jan Kempter, Creative Director der beauftragten Agentur Wirz, kennt den Grund: «Weihnachten schafft eine emotionale Stimmung, die viele Menschen verbindet, ob sie religiös feiern oder nicht.» Es gehe darum, das Gefühl der Gemeinschaft zu inszenieren. Gelinge das, fühlen sich Menschen angesprochen und berührt.
Ein skandinavischer Hausgeist
Mit Finn knüpft die Migros an die Tradition skandinavischer Hausgeister wie Tomte und Nisse an. Doch der helvetisierte Wichtel hat das Folkloristische abgestreift. Stattdessen setzt er auf Nähe und Zwischenmenschlichkeit – und trifft damit ins Herz.
Kein christlicher Messias, keine himmlischen Heerscharen über dem Stall, keine tiefsinnige Theologie: Finn bleibt bewusst bodenständig. Keine Glamour-Show, kein Lametta. Wie ein einfacher «Migros-Büetzer» arbeitet er nachts in den Filialen, klettert die Regalwände hoch und prüft das Sortiment. Finn stehe für die kleinen Wunder des Alltags, sagt Kempter. Er erinnere daran, dass der Sinn von Weihnachten nicht im Konsum liege, sondern in Momenten von Nähe, Aufmerksamkeit und Mitgefühl. «Gerade weil der kleine Wichtel nichts direkt verkaufen will, berührt er die Menschen und entfaltet seine Wirkung.»
Diese Wirkung zeigt sich an der Kasse der Migros – und in der Fanpost, die Kinder und Erwachsene an den orangen Riesen schicken. Der Plüsch-Wichtel ist längst ein Sammlerstück. Ursprünglich war Finn als einmalige Kampagne gedacht. Doch als die Werber etwas Neues ausprobieren wollten, weil sie meinten, die Schweiz habe den «herzigen Wichtel» satt, lagen sie falsch. «Wo ist Finn?», «Wann kommt Finn zurück?», «Bringt endlich Finn wieder!» forderte die Fangemeinde. 2023 erfüllte die Migros den Wunsch – Finn kehrte zurück.
Was die Kirchen von Finn lernen können
Was könnten die Kirchen von Finn lernen? Weihnachten gilt den Kirchen traditionell als Zeit der Besinnung und Stille, sagt Kempter. «Gerade die reformierte Theologie, geprägt von Zwinglis nüchternem Zugang, hat diese Haltung stark verankert.» Doch hier sieht der Werber ein Problem: Besinnung sei zwar schön, passe aber nicht mehr zu einer Welt voller Ablenkung und ständiger Reize durch soziale Medien.
Kempter rät den Kirchen, neue Geschichten zu erzählen – so wie es ausserhalb der Kirchen längst geschieht. Sie sollten Nähe, Gemeinschaft, miteinander Lachen und auch Traurigkeit vermitteln. Es gehe darum, ein Gefühl von Zuhause zu schaffen. «Die Kirchen sollten sich weniger als Orte der Einkehr und Ruhe verstehen, sondern stärker als Orte des Miteinanders und Zusammenhalts.» Gospelkirchen etwa lebten dieses Gefühl seit jeher vor.
Und die Weihnachtsbotschaft? Die stärkste Botschaft sei die universelle Liebe, sagt Kempter – nicht romantisch, nicht moralisch, sondern menschlich. «Wenn Kirchen diese Wärme spürbar machen, wird Weihnachten nahbar.» Dafür brauche es manchmal einfache Brücken: Rituale wie Wichteln, gemeinsames Singen und geteilte Momente beim Guetsle oder einem Glas Glühwein.
Die Chronik der Finn-Videoclips:
2017
2018
Ankündigung Revival
2023
2024
2025
Weihnachtszeit, Wichtelzeit