Welche Hoffnung lebt in mir?
Als ich mit fünfzehn Jahren meinen «Konf-Pfarrer» fragte, ob von den vier Pfarrherren in der Gemeinde er am kommenden Sonntag die Predigt halte, bekam ich zur Antwort, es gehe nicht um die Person, sondern um den Gottesdienst.
Das löste in mir doppelten stummen Widerspruch aus. Zum einen schien mir – gut reformiert – die Predigt das Wichtigste im Gottesdienst zu sein. Zum andern ging es mir als Hörerin sehr wohl um die Person, waren doch seine drei Kollegen langweilig oder altmodisch oder anbiedernd.
«Gesamtkunstwerk» Gottesdienst
Zehn Jahre später begann ich mich in verschiedenste Methoden zu vertiefen, wie eine Predigt zu gestalten wäre, dialogisch, poetisch, politisch, bildhaft, dramatisch, tänzerisch, musikalisch etc. Und bei alledem sollte zu erklären sein, welche Hoffnung in mir lebt. So jedenfalls beschreibt der Verfasser des 1. Petrusbriefes die Aufgabe der bedrängten christlichen Minderheit in Kleinasien unter dem römischen Kaiser Domitian etwa um 100 n. Chr.: «Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.» Zürcher Bibel.
Zwanzig Jahre später hatte ich erlebt und verstanden, dass es wirklich um den ganzen Gottesdienst ging, dass die Liturgie mit sorgfältigen Gebeten, Lesungen und passenden Liedern, dass die musikalische Begleitung zusammen mit der Predigt ein «Gesamtkunstwerk»
bilden. Ich war etwas weniger reformiert geworden und auch entlastet von der alleinigen Verantwortung für den gelingenden Gottesdienst. Aber das Grundthema blieb dasselbe.Welche Hoffnung lebt in mir?
Werte und Gewissheiten für heute
Heute bedrängt mich kein Kaiser, aber es drängen viele Fragen zum Zustand unserer Demokratie, zum Zustand unserer Erde und zu meiner persönlichen Existenz in mein Innerstes. Sie rufen nach Antworten. Sie wollen wissen, welche Hoffnung in mir lebt, oder etwas weltlicher ausgedrückt, aus welchen Werten und Gewissheiten ich lebe. Vielen Menschen geht es ähnlich.
Die Hoffnung von Jesus aus Nazareth, wie ihn die Evangelien schildern, orientiert sich nicht am Wohlergehen der Satten, sondern am Wohlergehen der Schwachen. Die Hoffnung der Urgeschichten im Ersten Testament orientiert sich nicht an der Gier der Menschen, sondern an der gerechten Begrenzung aller Güter dieser Erde.
Die Hoffnung der frühchristlichen Gemeinden orientiert sich nicht an einem Leben ohne Schmerz und Verlust, sondern an der Kraft des Gekreuzigten und Auferstandenen bzw. an der Beziehung zu Gott in Freud und Leid und Tod.
Solcher Art ist die Hoffnung, die in mir lebt, allerdings oft nur als winziger Funke …nun bin ich wahrhaftig ins Predigen gekommen.
Text: Marianne Kundt Hauser, pens. Pfrn., St. Gallen | Foto: as Kirchenbote SG, September 2015
Welche Hoffnung lebt in mir?