News aus dem Kanton St. Gallen

Über Gottesbilder stolpern

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20.05.2019
Der alte Mann auf der Wolke ist ein groteskes Missverständnis. Was in der Kunst der Renaissance vielleicht noch Sinn ergab – der irdischen Rennerei ein Symbol himmlischer Gelassenheit entgegenzusetzen – wirkt heute bloss kindisch. Und nicht einmal das. Wenn ich bei Kindern nachfrage, stellen sie sich Gott nur selten als Alten mit Bart vor. Sondern eher als Gott.

Wohltuend ist ein Blick auf den Referenztext zur Sache. Dort öffnet sich ein weiter Fächer an Bildern, die das Göttliche des biblischen Gottes porträtieren: Sonne und Schirm, Burg und Schild, Feuer und Wasser, Hirte und Quelle, Vater und Mutter. Und wem der Hirte zu männlich daherkommt mit seiner Fürsorge, Achtsamkeit und Zuneigung, der mag sich freuen an der Glucke, der Adler- und der Bärenmutter, der Hausherrin, ja der Stillenden und der Hebamme.

Einengung wirkt albern
In dieser bunten Palette wirkt die Einengung des Gottesbildes auf ein biologisches Geschlecht reichlich albern. Es ging nie ums Geschlecht, sondern um edle Eigenschaften, männliche wie weibliche, die die Bilder Gott zuschreiben. Die Aggressivität einer Adlerin, die ihre Jungen bis aufs Blut verteidigt, ist gleichwertig zur hingebungsvollen Fürsorge eines Hirten. Der christliche Basistext bricht Klischees auf. Nicht nur die von vorgestern. 

Schutz vor Missbrauch
Sollen Frauen denn ewig auf ihre angebliche Sozialkompetenz festgenagelt werden? Sollen Männer ewig auf ihre angebliche Robustheit reduziert werden? Die Bibel wirkt dagegen. Sie erzählt von Männern, die als Träumer gelten, Josef und Daniel, Traumtänzer, mit dem Sinn fürs Unendliche. Sie erzählt von Frauen, die ihre Feinde blutrünstig töten oder sich wenigstens brutal drüber freuen, Deborah und Mirijam. Frauen können so männlich sein wie Männer weiblich. Diese komplementären Gaben steigern die Selbsterkenntnis. Robust oder sozialkompetent? Mein Gott! Beide Seiten mögen helfen, zu Zeiten ein kompletter Mensch zu werden. 

«Me too» in der Bibel? Echt jetzt?
Bilder vermitteln Sicherheit. Bei Kolleginnen, Freunden und in Ehen. Auch im Glauben. Das stützt im Alltag. Doch ein Mensch bleibt stets tiefer, geheimnisumwobener als jedes Bild von ihm. Das schützt vor Missbrauch, vor Übergriffigem. Echt jetzt? «Me too» in der Bibel? Ja! Gott selbst sagt Stopp bei allzu blöden Zudringlichkeiten. Und er meint Stopp. «Ich bin Gott und kein Mann», flüstert er dem Propheten. So leuchtet zuletzt ein lüpfiges apostolisches Bild auf, schön ausgemalt am Ende der Schrift: Gott wird werden «Alles in Allem». Sinn-voll. Tiefer und geheimnisvoller als jedes Bild von Mann oder Frau.

Die Kinder haben es schon immer geahnt.

 

Text: Reinhold Meier, Psychiatrieseelsorger, Journalist, Wangs | Foto: Pixabay  – Kirchenbote SG, Juni/Juli 2019

 

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