News aus dem Kanton St. Gallen

Keine Verhöhnung der Andersgläubigen

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24.02.2016
Die Deckengemälde der St.Galler Stiftsbibliothek sind ein weltweit einzigartiges und ökumenisches Zeugnis der christlichen Lehre. Hier eine Würdigung von reformierter Seite.

«Mehrfach stand ich leicht amüsiert vor dem Grab des Ignatius von Loyola in der Kirche Il Gesù in Rom. Unten rechts ist dargestellt, wie die «wahre Religion» (die katholische) die Häresie besiegt. In der rechten Hand hält sie einen Feuerbrand. Ganz unten sieht man einen Engel, der Seiten aus einem ketzerischen Buch reisst. Die Darstellung ist aggressiv und polemisch. Wer nach St.Gallen zurückkehrt, nimmt wahr, dass es sich im katholischen Stiftsbezirk (Weltkulturerbe der UNESCO) anders verhält.

In Kathedrale und Stiftsbibliothek werden Andersgläubige nicht verhöhnt. Das Bildprogramm ist zwar «gut katholisch». Im Dom steht Maria, die Mutter Jesu, im Mittelpunkt. Doch die Bilder sind auffallend friedlich. In der Stiftsbibliothek ist diese «ökumenische» Tendenz verstärkt. Die Decke ist geschmückt mit vier Darstellungen der Konzilien von Nizäa (325), Konstantinopel (381), Ephesus (431) und Chalzedon (451). An diesen Kirchenversammlungen wurde darum gerungen, was für das Christentum zentral sei.

Die Lehre der Trinität

Es ging um die Lehre von der Trinität: Vater, Sohn und Heiliger Geist sind eins – und um die Lehre von Jesus Christus. Dieser ist «wahr’ Mensch und wahrer Gott», wie wir an Weihnachten singen. Die Entscheidungen der vier Konzilien werden bis heute von den meisten christlichen Konfessionen anerkannt und als theologischer Massstab genommen; nicht nur von den römischen Katholiken, sondern auch von den Orthodoxen und vielen Orientalen, den Anglikanern und den meisten Protestanten. Mit Recht wurde bemängelt, dass bei den Konzilien die Politik kräftig mitgemischt hat. Die Akten zeigen aber: Die «nichttheologischen Faktoren» haben dem Resultat kaum geschadet. Die theologischen Experten rangen ernsthaft um die Wahrheit. Ohne das göttliche Geheimnis zu zerreden, umkreisten sie es behutsam. Sie vermieden allzu zupackende Formulierungen und suchten den Konsens.

Auch der Heilige Geist ist Gott

In Konstantinopel rang man um die Lehre vom Heiligen Geist. Gemäss Konzilsbeschluss ist dieser eine Person der Trinität und hat den gleichen Rang wie Gott, der Vater und der Sohn. Diese Redeweise ist für uns heute schwierig. Die Pointe besteht aber darin, dass es Gott ist, der den Glauben bewirkt. Es kommt nicht darauf an, ob ich religiös wenig, mittelmässig oder hoch begabt bin. Für die Christusnachfolge braucht es keine religiösen Genies.

Der Glaube wird vom Geist gewirkt

Besonders der junge Karl Barth sprach in seinem Kommentar über den Römerbrief (wohl das wichtigste theologische Buch des 20. Jahrhunderts) von der «Unmöglichkeit des Glaubens». Damit wollte er niemanden mutlos machen. Ganz im Gegenteil: Weil der Glaube aus eigener Kraft unmöglich ist, darum können alle glauben! Der Glaube ist nach Barth «das absolute Wunder». Und genau das Gleiche meinte – nur mit anderen Worten – das Konzil von Konstantinopel. Der Heilige Geist ist Gott selber. «In dir [Heiliger Geist] teilt Gott sich selber mit», wie es im alten Hymnus «Komm, Schöpfer Geist» heisst.

Frühe Ökumene im Kloster St.Gallen

Wenn ich das Bild des Konzils von Konstantinopel in St.Gallen betrachte, bewundere ich nicht nur die künstlerische Qualität. Joseph Wannenmacher, der es 1762/63 schuf, war ein grosser Maler. Ich staune noch mehr über den theologischen Aspekt. Abt Cölestin Gugger (1701–1767), der die Bilder in Auftrag gab und wohl das Bildprogramm entwarf, war ein versierter Theologe. Denjenigen, die die Stiftsbibliothek besuchen, wollte er das Grundlegende des christlichen Glaubens zeigen, dasjenige, das die Konfessionsgrenzen übersteigt. Er wusste: Auch in der reformierten Stadt St.Gallen wurde das geglaubt! Als Protestant bin ich dem katholischen Abt von St.Gallen für seine ökumenische Haltung dankbar. 

Text: Frank Jehle | Foto: Stiftsbibibliothek, Kirchenbote SG, März 2016

 

 

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