News aus dem Kanton St. Gallen

«Die Liebe war nicht mehr die gleiche»

von Katharina Meier
min
25.03.2024
Als 23-Jährige verliert die Toggenburgerin Anita Muheim-Rutz ihren Mann. Unter ihren Füssen wird der Boden weggezogen. Die Familie, Freunde und der Glaube helfen ihr, sich allmählich wieder zurechtzufinden.

Der Weg schien für Hansruedi und Anita Muheim-Rutz vorgezeichnet. Nach der Heirat 2001 wollten sie mit dem zweijährigen Sohn und der vierjährigen Tochter den Hof von Anita Muheims Eltern in Tufertschwil übernehmen. Das dritte Kind war unterwegs. Doch dann verunfallte der Zimmermann Hansruedi Muheim nach dem Mittag bei der Arbeit. Seine Frau erfuhr erst am späteren Abend vom Tod ihres Mannes. «Ich fühlte mich so alleingelassen.»

Des Nachts geweint

Den beiden Kindern konnte sie mit Ach und Weh sagen, dass Dädi nie mehr nach Hause kommen werde, er nun «im Himmel» sei. Sie selbst versank in einer unermesslichen Traurigkeit. Gleichzeitig wusste die damals junge Mutter: «Ich muss für die beiden Kinder und das Ungeborene da sein.»

Ich musste allein schon wegen der Kinder eine Normalität ins Leben bringen.

Vorübergehend zog Anita Muheim zu den Eltern in die Wohnung, die sich im gleichen Haus befand. Tagsüber lenkten sie die Kinder und der Alltag auf dem Bauernhof ab. Des Nachts weinte sich die Witwe in den Schlaf, sofern er sich einstellte. «Ich wollte trotz Kummer für die Kinder eine gewisse Normalität beibehalten.» Anita Muheim schätzte es dann, wenn sie mit ihren Kleinen jeweils Kolleginnen besuchen konnte. Sie kamen mit in den Zoo oder waren da, sei es zum Kaffeetrinken, Plaudern oder Reden. Oft traf man die junge Witwe auf dem Lütisburger Friedhof, wo sie Zwiegespräche führte, betete.

Schwager sprang als Vormund ein

Wenigstens existenzielle Ängste hatte die junge Frau damals nicht auszustehen. «Dank der Witwenrente und einer guten Absicherung durch die Zimmermannsgilde musste ich nicht arbeiten. Es wäre für mich schwierig geworden, hätte ich die Kinder fremdplatzieren müssen.» So aber durfte sich Anita Muheim ihren Kindern widmen. Als Vormund sprang ihr ältester Schwager ein. «Er war stark mit meinem Mann verbunden.» Überhaupt kümmerte er sich um das Administrative sowie die kleine Familie ohne Vater und wurde schliesslich auch Götti des dritten Kindes. «Eigentlich war jemand anderes vorgesehen, doch Hansruedi hatte jeweils von der innigen Beziehung zu seinem Bruder geschwärmt, sodass diese Patenschaft auf der Hand lag.» 

Eine neue Beziehung eingegangen

Als die Kinder grösser wurden, zog Anita Muheim in Tufertschwil in einen grösseren Hausteil und arbeitete gelegentlich als Mesmerin in der damaligen Kirchgemeinde Lütisburg. Gleichzeitig erfüllte sie das Erteilen der Sonntagschule. Die Lebensfreude kehrte schrittweise zurück und rund vier Jahre nach dem Tod ihres Mannes ging die junge Frau wieder eine Beziehung ein.

Es war wohl vor allem auch der Glaube, der mich all die Jahre durchgetragen hat.

Zwei weitere Kinder kamen zur Welt. Sie schien für zehn Jahre in Ordnung, ehe das Miteinander immer mehr zu bröckeln begann. «Oft vermisste ich die Qualitäten meines verstorbenen Mannes.» Es sei nicht mehr die gleiche, die grosse Liebe wie zu Hansruedi gewesen, die sie nun erlebte. Doch als Familienmensch riss sich die heute 43-Jährige zusammen, bis der Punkt kam, wo es nicht mehr ging. 

Umzug und Neuanfang

Sie trennte sich, zog mit den drei jüngsten Kindern von Tufertschwil weg nach Dietschwil, wo sie sich bis heute äusserst wohlfühlt. Die Familie harmoniert, ist ein eingeschworenes Team. «Würde wieder ein Mann in mein Leben treten, müsste er sich bewusst sein, dass er nicht ein 08/15-Päckli mit in die Beziehung bekäme», schmunzelt Anita Muheim. Sie hat vor Kurzem eine Teilzeitanstellung als Mesmerin der Kirchgemeinde Kirchberg-Bazenheid erhalten und ruht zusehends in sich. Ihr verstorbener Mann wird immer präsent sein, im Herzen, auf Fotografien in den verschiedenen Zimmern. Zudem sei ihm sein Sohn wie aus dem Gesicht geschnitten. 

«Ja, es war wohl vor allem auch der Glaube, der mich all die Jahre durchgetragen hat», sagt Anita Muheim nach langem Nachdenken und schiebt voller Zuversicht nach: «Es geht immer irgendwie weiter. Und schon bald werde ich Grossmami.»

Unsere Empfehlungen

Anwalt der Witwen

Anwalt der Witwen

Witwen und Witwer waren früher besonders verletzlich und werden noch heute geschnitten. Die Bibel hingegen berichtet von mutigen Witwen und setzt sich für sie ein. Und Jesus drehte den Spiess gar um.