News aus dem Kanton St. Gallen

Die schwierige Kunst des Lügens

von Rolf Vetterli
min
25.05.2024
Der ehemalige St. Galler Kantonsrichter Rolf Vetterli zeigt anhand eines wahren Falles um einen geleasten Prosche Cayenne auf, dass Lügen vor Gericht kurze Beine haben.

Angeklagte brauchen vor Gericht nichts zu sagen. Es fällt ihnen aber oft nicht leicht, sich auf dieses Schweigerecht zu berufen. Sie haben ein natürliches Bedürfnis nach Rechtfertigung, zumal die strikte Weigerung, sich zu äussern, einen Anschein von Schuld erzeugt. Keine Antwort ist ja auch eine Antwort und insofern ist selbst das Schweigen beredt. Falls man wirklich etwas zu verheimlichen hat, besteht die klügste Verteidigungsstrategie dennoch darin, den Mund zu halten und die aus vielen Krimiserien bekannte Warnung zu beherzigen: «Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden!» 

Aussagen konstruieren ist schwer

Die Strafjustiz hat von der Aussagepsychologie gelernt, wie sich die Wahrheit von der Lüge unterscheiden lässt. Es gibt zwar keine eigentlichen Lügensymptome, aber sogenannte Realkennzeichen. Ein Bericht erscheint etwa dann als wahr, wenn er ungeordnet und sprunghaft vorgetragen wird, auch unwesentliche, aber originelle Details enthält, nachträglich noch ergänzt wird und schliesslich ein stimmiges Bild ergibt.

Die serbischen Polizei rapportierte mit geradezu helvetischer Gründlichkeit, dass das Garagentor zwar gewaltsam geöffnet worden war, aber auf der Innenseite und mit Werkzeug, das in einem danebenstehenden Schrank aufbewahrt war.

Das Geschick, eine überzeugende Aussage zu konstruieren, fehlt jedoch den meisten Parteien. Sie verwickeln sich mitunter in ihren Lügengespinsten und bringen sich selbst zu Fall. Dazu möchte ich eine sonderbare – aber selbstverständlich wahre – Kriminalgeschichte erzählen.

Geleastes Auto weiterverkauft

Ein Gipser stand vor dem geschäftlichen Ruin. Da versilberte er kurzerhand seinen Porsche Cayenne, den er allerdings gar nicht gekauft, sondern nur geleast hatte. Hernach erstattete er Strafanzeige, weil ihm der Wagen im serbischen Heimatort entwendet worden sei. Das hätte er besser bleiben lassen.

Er erklärte es damit, dass seine kleine Tochter den Autoschlüssel beim Spielen die Toilette hinuntergespült habe.

Die Staatsanwaltschaft befasste sich nicht mit dem Fahrzeugdiebstahl, sondern nur mit dem Fahrzeugbesitzer und klagte ihn wegen Veruntreuung an. Sie verwies auf den Rapport der serbischen Polizei, die den Fall mit geradezu helvetischer Gründlichkeit untersucht und dabei festgestellt hatte, dass das Garagentor zwar gewaltsam geöffnet worden war, aber auf der Innenseite und mit Werkzeug, das in einem danebenstehenden Schrank aufbewahrt war. 

Auto taucht in Deutschland auf

Das verschwundene Auto tauchte in Deutschland wieder auf. Ein Klempnermeister ersteigerte es samt den echten Papieren und einem originalen Schlüssel günstig auf Ebay und durfte es behalten, weil er als gutgläubig galt. Der Angeschuldigte hatte einst zwei Schlüssel erhalten, konnte aber nur noch einen vorweisen. Das erklärte er damit, dass seine kleine Tochter den anderen beim Spielen in die Toilette geworfen und hinuntergespült habe. 

Fuss verknackst, Frau schwanger

Der Angeschuldigte wurde schliesslich gefragt, warum er das teure Auto an einem so gefährlichen Ort stehen gelassen habe. Das begründete er so: Die Familie sei mit zwei Fahrzeugen in die Ferien gereist. Sein Vater habe sich aber den Fuss verknackst und sei als Fahrer ausgefallen. Seine schwangere Ehefrau habe als Lenkerin nicht einspringen können. Deshalb sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als mit dem Lieferwagen nach Hause zu fahren und den Sportwagen zurückzulassen. Es stellte sich allerdings heraus, dass nichts davon zutraf: Der Vater hatte keinen Fuss verstaucht und die Frau erwartete kein Kind. 

Erstunken und erlogen

Das Gericht hielt dem Angeschuldigten vor, dass er sämtliche Aussagen dreist erfand, um die Behörden irrezuführen, und kreidete ihm namentlich an, dass er alle Familienangehörigen in den Schwindel einbezog. Es verurteilte ihn als Ersttäter zu einer bedingten Geldstrafe. 

Damit endete wohl die kriminelle Karriere des Mannes. Wer nicht einmal merkt, dass er bei einem fingierten Diebstahl die Tür von aussen aufbrechen sollte, hat gewiss nicht das Zeug zum raffinierten Gauner. 

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