News aus dem Kanton St. Gallen

Seelsorge im Volg und im Postauto

von Stefan Degen
min
28.08.2025
Früher war Andreas Maurer Pfarrer in einem der abgelegensten Täler der Schweiz. Heute arbeitet er im mondänen Zug. Er kennt die Facetten des Pfarrberufs — zwischen Kühen und Konzernen.

Eigentlich wollte Andreas Maurer nur schnell im Volg Kartoffeln kaufen. Doch dort erzählt ein Kunde dem Pfarrer von einer Krebsdiagnose. Sofort ist Maurer mittendrin in einem Seelsorgegespräch: Er kennt den Kunden, er kennt die Verkäuferin, er weiss über die Situation der Menschen im Tal Bescheid: Wer ein Kind bekommen hat, wer vor zwei Jahren einen Angehörigen verloren hat, welche Streitereien im Gange sind. «Nur schnell in den Volg» geht für ihn nicht. «Das Leben im Bergtal hat den Anschein von Beschaulichkeit», resümiert er, «aber wenn ich einen Fuss aus dem Pfarrhaus setzte, war ich schon mitten im Leben drin.»

Abgeschiedenheit gesucht

Maurer war sechseinhalb Jahre Pfarrer im Averstal und in Ferrera GR, in einem Seitental des Hinterrheins. Avers, die höchstgelegene Gemeinde der Schweiz, zählt zusammen mit dem benachbarten Ferrera rund 250 Einwohnerinnen und Einwohner. Das zuhinterst im Tal gelegene Juf ist mit 2126 m ü.M. gar die höchstgelegene, ganzjährig bewohnte Siedlung Europas. Dahinter kommen nur noch Gras, Steine und Fels. Abgelegener geht kaum.

Juf, der Weiler zuhinterst im Averstal, ist die höchstgelegene ganzjährig bewohnte Siedlung Europas. Foto: Roland Zumbühl / Wikimedia

 

Diese Abgeschiedenheit hatte Maurer gesucht, als er 2013 zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter ins Avers kam. Zuvor hatte er in den Kantonen Zürich und Zug vor allem im Bereich der kirchlichen Bildung gearbeitet. «Mir war klar: wenn ein Gemeindepfarramt, dann ein Dorfpfarramt im Bündnerland», erinnert er sich. «Ich habe das Leben in einer Talgemeinschaft gesucht. Mit allen Verbindlichkeiten, die es mit sich bringt.»

 

Sterbebegleitung, dass man ans Bett geholt wird, das passiert im Avers viel eher als in Zug.

Nach sechseinhalb Jahren im Avers spürte Maurer, dass es wieder Zeit für ein Veränderung war. Er wechselte nach Zug, wo er als Regionalpfarrer tätig ist. «Ich bin angestellt für längerfristige Vertretungen von Kolleginnen und Kollegen», erläutert der 59-Jährige, der nebenbei noch als Kirchenrat amtet.

Schnee schaufeln statt Predigt schreiben

Avers und Zug. Die Gegensätze könnten kaum grösser sein. Wie äusserten sich diese Unterschiede in Maurers Tätigkeit als Pfarrer? In einem Bergtal sei man automatisch näher dran an den Lebensgeschichten. «Hier in Zug begleite ich einen Trauerfall und sehe diese Person danach vielleicht noch einmal. In Avers begegne ich dieser Person immer wieder, im Volg, im Postauto, im Dorf. Und ich weiss auch, dass ihre Nichte kürzlich ein Kind geboren und welche Lehre ihr Neffe gerade abgeschlossen hat.» Man kenne die Lebensgeschichten voneinander und nehme Anteil.

Wenn ich auf der Strasse ein Rind antraf, das sich verlaufen hatte, sorgte ich dafür, dass der Bauer es zurück auf die Weide bringen konnte.

Die Pfarrertätigkeit sei in den Bergen nicht so hoch getaktet gewesen wie in Zug. Trotzdem sei es anstrengend gewesen. Im Winter musste er Schnee schaufeln, um den Zugang zur Kirche zu gewährleisten. Dafür fehlte ihm dann halt die Zeit, die Predigt detailliert auszuarbeiten. «Der Zugang zur Kirche war wichtiger als dass die Predigt perfekt sass.»

Das verlorene Rind

Und er habe viele simple, aber wichtige Dinge gemacht: jemanden mitnehmen, der eine Autopanne hatte, mit einer älteren Person zusammen ein Handy kaufen, die dabei Hilfe benötigte. «Auch Sterbebegleitung, dass man ans Bett geholt wird, das passiert im Avers viel eher als in Zug», so der Pfarrer. Er half als Freiwilliger beim Open Air mit und brachte frische Wäsche vorbei, wenn jemand unerwartet ins Spital musste. Und wenn er unterwegs ein verirrtes Rind auf der Strasse antraf, so sorgte er dafür, dass der Bauer es zurück auf die Weide bringen konnte.

Allerdings sei bei der Tätigkeit als Gemeindepfarrer in Zug und im Bündner Bergtal auch vieles gleich, stellt Maurer klar. Letztlich gehe es um Menschen, die auf ihre Art mit ihrem Leben zu kämpfen hätten, mit allem Schönen und Schwierigen. Egal, ob in der Stadt oder in den Bergen. «Auch hier in Zug denke ich bei jeder Abdankung: Das ist eine eindrückliche Lebensgeschichte.»

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