News aus dem Kanton St. Gallen

Welches Ritual soll’s denn sein?

von Stefan Degen
min
02.09.2023
Heiraten auf dem Bodensee oder auf dem Bauernhof, die Asche verstreuen auf dem Säntis: Der freie Ritualmarkt ist umkämpft. Auch die Kirchen mischen vermehrt mit.

Jährlich heiraten in der Schweiz 40 000 Paare.Nur ein Bruchteil davon lässt sich kirchlich trauen. Tendenz abnehmend. «Der Markt für Ritualbegleiter boomt», steht an dieser Stelle oft in den Medien. Aber stimmt das wirklich? So einfach ist die Antwort nicht. Denn auch wenn zahlreiche freie Ritualbegleiter – meist im Nebenamt – ihre Dienste anbieten, fehlen verlässliche Zahlen. Der Ritualverband, der nach eigenen Angaben 90 freie Ritualfachpersonen vertritt, führt keine Statistik. 

Ritualmarkt noch einen Nische

Tatsache ist, dass nur knapp die Hälfte der reformierten Paare, die zivil heiraten, sich auch in der Kirche das Jawort geben. Anzunehmen ist, dass die meisten, die keine kirchliche Trauung wünschen, sich mit dem Akt auf dem Standesamt begnügen. Andere Kasualien sind bei Kirchenmitgliedern beliebter: Fast alle Reformierten erhalten eine kirchliche Beerdigung. Und ein Kind einer reformierten Mutter wird meist auch reformiert getauft. Das geht aus Statistiken des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts hervor. Kurz: Der Markt der freien Ritualbegleiter mag boomen, stellt aber nach wie vor eine Nische dar.

Unsere Texte mit ihrer Bildsprache sind viel reichhaltiger, als wenn man nur vom ewigen Werden und Vergehen erzählt.

Eine Nische, die auch die Kirchen entdeckt haben. Im Frühling 2022 lancierte die Aargauer Landeskirche die Plattform «Leben Feiern», auf der Pfarrerinnen und Pfarrer Rituale anbieten. Der St. Galler Kirchenratspräsident Martin Schmidt kann diesem Schritt einiges abgewinnen: «Es ist nötig, dass wir uns auf dem Markt positionieren», sagt er. «Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie gleich um die Ecke eine kompetente Ortspfarrerin haben.» Deshalb sei es wichtig, diese zuerst zu kontaktieren, bevor ein externer Pfarrer die Trauung oder Taufe übernehme.

Nicht alle mögen Kasualien

Allerdings liegen Kasualien nicht allen Pfarrpersonen gleichermassen. «Die Aargauer haben das schlau gemacht», findet Schmidt: «Sie haben zuerst eine Umfrage durchgeführt, wer gerne Kasualien macht.» Schliesslich hätten nicht alle ihre Stärken am selben Ort. «Manche lieben das Ringen um alternative Formen und Orte, andere konzentrieren sich lieber auf anderes.»

Amtshandlungen der reformierten Kirche des Kantons St. Gallen. Quelle: Kirchenratskanzlei/Amtsberichte


«Nichts mit Hexen, Voodoo oder Kobolden»

Auf der Plattform «Leben Feiern» werden nur reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer vermittelt. Sie bieten sowohl klassische Kasualien als auch freie Rituale an. Ganz frei sind sie bei der Gestaltung der Rituale aber nicht: «Kern jedes Rituals ist der Segen Gottes», sagte Frank Worbs, Leiter Kommunikation der Aargauer Landeskirche, bei der Lancierung. Ausserdem würden keine Rituale durchgeführt, die im Kern der christlichen Weltanschauung widersprechen. «Also nichts mit Hexen, Voodoo oder Kobolden.»

Auch Schmidt findet es notwendig, rote Linien abzustecken, um den christlichen Kern der Rituale zu erhalten. Die Fokussierung auf den Segen sei aber etwas wenig: «Ich hätte stärker liturgisch geklärt, was es wirklich braucht.» Denn er sei überzeugt, dass die Kirche vieles und Gutes zu sagen habe: «Unsere Texte mit ihrer Bildsprache sind viel reichhaltiger, als wenn man nur vom ewigen Werden und Vergehen erzählt.»

Rituale sind teuer. 1400 bis 2200 Franken gibt der Ritualverband als Richtpreis an für eine Trauung an. Etwas günstiger ist die Plattform der Aargauer Reformierten: 1000 bis 1700 Franken werden dort verrechnet, wobei das Angebot für Kirchenmitglieder gratis ist. 

Keine St. Galler Plattform geplant

«Leben Feiern» hat Schule gemacht. Mittlerweile gibt es in Bern und Schaffhausen ähnliche Projekte. Überrannt wurde die Plattform aber nicht. Knapp 50 Rituale wurden in den ersten 18 Monaten gebucht. Zum Vergleich: In einem Jahr führt die Aargauer Kirche mehr als 3500 Kasualien durch.

Und wie sieht es in St. Gallen aus? Konkret sei nichts geplant, sagt Kirchenratspräsident Schmidt. Uwe Habenicht, der neue Beauftragte für Pastorales und Nachfolger von Carl Boetschi (siehe Seite 4), werde sich damit befassen. «Die Frage ist», so Schmidt, «wie wir die Distanzierten erreichen, die im weitesten Sinn noch Rituale suchen.» Er vermisse manchmal das betriebswirtschaftliche Denken in der Kirche, «dass wir überlegen, wie man den Menschen ein gutes Ritual bieten und sich gleichzeitig selber treu bleiben kann.»

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