Wie es Casanova heute ergehen würde
«Was soll diese Empörung? Dieses Me too?», fragt sich der der Self-Made-Man, der sich GGC nennt. Englisch ausgesprochen natürlich. Vor 300 Jahren hätte er sich mit einem italienischen oder französischen Namen begnügt.
Fortschritt erleichtert das Leben, statt die Berge der Erkenntnis zu erklimmen, bedient er sich im tiefen Digi-Tal: Künstliche Intelligenz, Online-Kurse, Soziale Medien und vor allem Online-Dating für Treffen zum Vergnügen. «Meet to» mit Damen in ihrem natürlichen Habitat. Dieses, davon geht er aus, ist klein und stets hinter oder unter dem Mann.
Wären die Girls nur alle jungfräulich rein wie Maria! Es wäre ungefährlicher. Nun braucht es überall Hinweise und eine Tripper-Warnung. Das Leben fühlt sich an wie Sodom und Gonorrhö. Am meisten ins Geld gehen allerdings die Mutterschaftsklagen. Doch seinem Ruf waren sie nicht abträglich. Bis heute zumindest.
Die eine oder andere war minderjährig gewesen oder nicht ganz freiwillig in seinem Bett gelandet. Er kennt die Tricks und erörtert sie in den Sozialen Medien. «Story of my life» nennt er seinen Kanal. Da verbreitet er Verschwörungserzählungen, rassistische Klischees und Predigten. «Gott ist ein DJ und die Erde eine Scheibe. Drum dreht sie immer noch!». Dadurch hat er sich viele Anhänger erschlossen, auch wenn er selbst nicht alles glaubt. «Nie ist ein Mann so ehrlich, wie wenn er vorgibt, ein grosser Lügner zu sein.»
Zudem gibt er Anlegertipps für Kryptowährungen und betreibt illegale Online-Lotterien. Gegen die eigene Spielsucht konnte ihm erst eine Psychologin helfen. Eine der wenigen Frauen, mit Geist, meint er. «Glück ist der Weg, nicht das Ziel» erzählt er genauso jovial wie seine Anekdoten als «Pick-up-Artist». So nennt man die Meister in der Kunst, junge und womöglich verbotene Früchtchen zu pflücken. Letztere hätten den grössten Reiz, da sei mehr Neugier als Verliebtheit, weshalb er sich nicht binden will. Geld ist das Mittel zum fleischlichen Vergnügen, zum «Meat to enjoy». Unter dem Strich ist er unabhängiger. Und auf dem Strich ist er Freier.
Wobei er nicht gerne bezahlt, lieber bleibt er vogelfrei. «Freiheit ist das höchste Gut.» Nur für Männer, versteht sich, freie und intelligente Frauen würden den Mann versklaven. Er ist ein wichtiger Vertreter der «Manosphere», jener Bewegung im Internet, welcher die Überlegenheit des einsamen Alpha-Wolfes propagiert. Seine Geschlechtsgenossen verachtet er dennoch, nennt ihr Geschlechtskrankheiten spöttisch «Vogel-Grippe» im Dunstkreis von Reichen und Mächtigen.
Von DOGE bis Dogenpalast, von Kreml bis Vatikan kennt er sie alle samt ihren schmutzigen Geheimnissen. Manch einer hat ihn wegen Staatsverrats oder Totschlags einbuchten lassen, manch einer hat ihm zur Flucht aus vermeintlich ausbruchsicheren Gefängnissen verholfen.
Gerade deshalb ist er gern gesehener, kontroverser und eloquenter Gast in Talk-Shows. In letzter Zeit allerdings wird er nur noch für Trash-TV-Formate gebucht, um ekelhafte Dschungel-Prüfungen zu bestehen. Oder allabendlich Rosen an 20 Frauen zu verteilen, um letztlich eine einzige zu wählen. Er könnte sie doch alle haben! Eine einzige sollte ihm nicht zu nahe kommen. Das sang er schon als Jugendlicher auf YouTube: «Girls! Gods Fairest Creation, Beautiful Like a Rose, if You Don’t Look to Close».
Doch jetzt das! Eine Frau bekennt öffentlich, von ihm sexuell missbraucht worden zu sein. Da schreit die nächste: «Ich auch!» - «Me too!». Erst als der Chor vielstimmig ist, wird er in der Öffentlichkeit gehört.
Ein Ass hat er noch im Ärmel, er wählt die Handynummer des amerikanischen Präsidenten. «Hilf mir! Die Weiber klagen mich an wegen sexueller Übergriffe!» - Aus dem Oval Office ein Seufzer: «So sad. Me too.»
Patti Basler (*1976) ist eine Schweizer Kabarettistin, Satirikerin und Bühnenpoetin aus Zeihen. Sie gewann 2019 den Salzburger Stier und 2024 den Swiss Comedy Award.
Wie es Casanova heute ergehen würde