News aus dem Kanton St. Gallen
Fokus Kirchenmusik

Zeitreise durch die Epochen der Kirchenmusik

von Tilmann Zuber
min
12.05.2025
Die Kirchenmusik hat sich von schlichten Psalmen hin zu einer reichen, vielfältigen Musiklandschaft entwickelt: von kontemplativer Einstimmigkeit über barocke Klangfülle bis hin zu Popsongs im Gottesdienst.

Frühchristliche Zeit (1.–4. Jahrhundert)

Merkmale: Gesänge ohne Instrumente (a cappella), meist einstimmig. Hintergrund: In den ersten Jahrhunderten des Christentums war Musik stark vom jüdischen Synagogengesang beeinflusst.

Beispiel: Psalmodie – das Singen von Psalmen.

Mittelalter (5.–15. Jh.), gregorianischer Choral (ca. 9. Jh.)

Merkmale: einstimmiger lateinischer Gesang, benannt nach Papst Gregor dem Grossen. Diente der Liturgie. Entwicklung der Mehrstimmigkeit: Ab dem 12. Jahrhundert entstand die Organum-Technik (mehrstimmiges Singen), später die komplexe Polyphonie. Zentren: Klöster, Kathedralen (z.B. Notre-Dame in Paris).

Renaissance (15.–16. Jahrhundert)

Mehrstimmige Chormusik: Komponisten wie Palestrina oder Josquin des Préz schrieben polyphone Messen und Motetten.

Ziel: Klarheit im liturgischen Text trotz Mehrstimmigkeit – vor allem nach dem Konzil von Trient (1545–1563), das eine zu weltliche Musik ablehnte. Inhalte: lateinische Texte, kunstvoll gesetzte Chöre.

Barock (ca. 1600–1750)

Starke Emotionen und Pracht: Musik wurde prachtvoller und dramatischer, oft mit Instrumentalbegleitung. Grosse Werke: Oratorien, Kantaten, Passionen (z.B. von J. S. Bach, F.  Händel). Einführung der Orgel als zentrales Instrument im Gottesdienst. Mehr Beteiligung der Gemeinde: Choräle (Gemeindelieder) gewinnen an Bedeutung.

Klassik und Romantik (ca. 1750–1900)

Klassik: Schlichte, klare Strukturen. Komponisten wie Haydn und Mozart schrieben Messen, die auch konzertant aufgeführt wurden. Romantik: emotionalere persönliche Ausdrücke des Glaubens (z. B. Mendelssohn, Bruckner). Kirchenmusik auch als Konzertform: Grosse Messen, Requien und Oratorien wurden in Kirchen und Konzertsälen aufgeführt.

20. Jahrhundert bis heute

Stilvielfalt: von neuer geistlicher Musik bis zu Avantgarde und Pop.

Zweite Wiener Schule, Minimal Music: Auch atonale oder experimentelle Musik findet Eingang in die Kirchenmusik. Neues geistliches Lied (NGL): seit den 1960er-Jahren Lieder in Alltagssprache, oft mit Gitarre oder Band begleitet. Ökumene und Weltmusik: Einfluss aus anderen Kulturen (Taizé-Gesänge, afrikanische Rhythmen). Digitalisierung: Livestreams, Kirchenbands, moderne Arrangements und hybride Formen von Musik im Gottesdienst.

 

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